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Meinung: Arbeit, die wir uns vorstellen

Von Gerd Appenzeller

Die Deutschen sind ein Volk mit Phantasie. Und besonders gut sind sie darin, sich über andere Gedanken zu machen. Das könnte, im besten Fall, fürsorglich gemeint sein. Die überwältigende Spendenbereitschaft für die von der Flut betroffenen Länder Südostasiens ist ein Beispiel dafür. Man kann sich aber auch aus reinem Aktionismus über seine Mitmenschen den Kopf zerbrechen, frei nach der alten Devise: Herr Lehrer, ich weiß auch was! Manche der Beschäftigungsmodelle, die jetzt für Langzeitarbeitlose und Empfänger des Arbeitslosengeldes II entwickelt werden, fallen in diese Rubrik. Die jüngste Blüte an diesem Strauch der Jobwunder duftet exotisch. Arbeitslose Facharbeiter und Ingenieure sollten auf EinEuro-Jobs zum Aufräumen in die verwüsteten Regionen Sri Lankas und Indonesiens geschickt werden – so die Idee.

Die Bundesagentur für Arbeit gewinnt der Überlegung Charme ab, wenn es sich um reguläre Stellen handelt, also eben nicht um Ein-Euro-Jobs. Für Flug und Unterbringung vor Ort will sie freilich nichts zahlen. Nimmt man noch hinzu, dass es in Südostasien keinen Mangel an Arbeitskräften gibt, und dass die gleichen Besserwisser, die die Arbeitslosen jetzt dorthin schicken wollen, sich in vier Wochen das Maul darüber zerreißen werden, dass sie dort unter südlicher Sonne ein paar schlaue Wochen verbringen – bleibt am Ende ein kleiner, vernünftiger Kern. Deutsche Wiederaufbauexperten, so der UN-Politiker Klaus Töpfer, können im Unglücksgebiet gebraucht werden.

Das Beispiel zeigt, dass wir uns gerade bei Hartz IV auf das Wesentliche konzentrieren und von Überlegungen auf Stammtischniveau eher ablassen sollten. Die mit dem Begriff Hartz IV verbundenen Einschnitte, die auch Reformen genannt werden, sind für viele hunderttausend Menschen sehr tiefgreifend. Unausweichlich wurden sie, weil die alten Regelungen nicht mehr finanzierbar geworden waren. Sie kommen aber Jahre zu spät – um jene Jahre, in denen es in Deutschland noch viele freie Stellen gab, die aus Bequemlichkeit von niemandem besetzt wurden.

Ob mit Ein-Euro-Jobs und mit „Fördern und fordern“ jetzt noch, wie Wirtschaftsminister Clement glaubt, die Arbeitslosigkeit um 15 bis 20 Prozent reduziert wird, weiß niemand. Es wird vermutlich, wie in anderen Ländern auch, drei bis vier Jahre dauern, bis sich die verschiedenen Maßnahmen in einer größeren Zahl regulärer Arbeitsverhältnissen niederschlagen. Dazu müssen vor allem die Bundesbürger selbst ihre Einstellung zu Arbeit und Arbeitslosigkeit verändern. Jeder, der über einen der Ein-Euro-Jobs versucht, den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zurückzufinden, verdient Respekt und Hilfe. Wir werden ihnen von nun an begegnen, weniger an den Küsten Sri Lankas als in Parks, Sportvereinen – im deutschen Alltag.

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