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Meinung: Argentinien: Armes reiches Land

Argentinien spielt gerne im großen Kino, auf der ganz großen Leinwand. Argentinier lieben Pathos und Emotion.

Argentinien spielt gerne im großen Kino, auf der ganz großen Leinwand. Argentinier lieben Pathos und Emotion. So wollen sie sein: voller Lebensfreude, voller Überlebensmut. Aber sie sind auch durchdrungen von Selbstmitleid und Zerstörungswut. Beides zugleich sieht man jetzt auf den Straßen von Buenos Aires, wo verzweifelte Menschen vor Hunger plündern und sich mit der Polizei Straßenschlachten liefern. Charaktere und Szenen wechseln sich ab, je nachdem, wie es dem Land geht. Jetzt gerade geht es dem Land so schlecht wie nie: Schulden, Anarchie, Tote, und die Bankrotterklärung der politischen Klasse. Der Präsident erklärt seinen Rücktritt - der Kapitän verlässt als Erster das sinkende Schiff. Und kein Nachfolger ist in Sicht, dem man etwas zutrauen mag. Die Welt schaut zu und fragt: Wer ist Schuld, was bedeutet das, was ist zu tun?

Schuld ist zunächst einmal Argentinien selbst, die Politik. Sie hat die Hyperinflation Ende der 80er Jahre zwar erfolgreich mit der Dollaranbindung des Pesos bekämpft, und sie hat radikal privatisiert. Das eingenommene Geld aber wurde nicht investiert, weder in neue Arbeitsplätze noch in Hilfsprogramme für den Mittelstand und auch nicht in die Bildung. Stattdessen führte sich die politische Spitze auf, als gehöre Argentinien wieder zu den reichen Nationen, wie noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts, als es hieß: Spucke auf den Boden und es wächst eine Blume. Das war einmal. Vor allem Ex-Präsident Menem scheute jede Reform: kein Sozialprogramm, kein neues Steuer- und Rentensystem, dafür eingefrorene Löhne, Armut und verheerende Korruption.

Schuld hat auch der Internationale Währungsfonds (IWF). Er hat Argentinien selbst in der Rezession bestärkt, die Währungsanbindung beizubehalten, ohne die sozialen Folgen zu bedenken. Und er hat Buenos Aires ein Sparprogramm verordnet, das zwar finanzpolitisch richtig war, gesamtpolitisch aber gefährlich wurde: Totsparen darf sich ein Land nicht. Der IWF ist zwar nicht das Sozialamt Argentiniens, er muss aber einschätzen, was einer Gesellschaft sozial zuzumuten ist. Gespart wurde da, wo die meisten Menschen ohnehin schon hart getroffen waren: bei den Renten, beim Arbeitslosengeld, den Sozialhilfen, aber auch bei Schulen und Universitäten.

Andere Länder haben es besser gemacht. Der kleine Nachbar Chile zum Beispiel: Er hat seine Währung nie aufgegeben, und seine Politiker haben den Menschen ehrlich gesagt, was auf sie zukommt. Die Mittelschichten wurden gefördert und die Armen nicht vergessen, das chilenische Rentenmodell gilt über den Kontinent hinaus als vorbildlich. Chile und Brasilien, zwei starke Länder Südamerikas, haben sich gelöst vom Einfluss Argentiniens. Das heißt: Diese Krise wird auf Argentinien beschränkt bleiben.

Wie kann das Land sie überwinden? Es gibt nur die Dollarisierung oder die Abwertung. Menem will die Dollarisierung, die völlige Aufgabe der eigenen Währung. Die Folge wäre eine noch größere Verelendung der Massen - als Preis einer womöglich wieder nur kurzfristigen Stabilität. Menem hat trotz der Unruhen nicht verstanden, dass Argentinien nicht nur eine solide Finanzpolitik braucht, sondern gerade in der Krise auch eine durchdachte Sozialpolitik.

Andere Peronisten plädieren für die Abwertung des Pesos bei gleichzeitiger Hilfe durch den IWF. Das bedeutet zunächst eine Verschärfung der Krise - aber auch die Chance auf neues Wachstum. Auf diesen Weg müssten sich alle Kräfte einigen, parteiübergreifend, um international Vertrauen zurückzugewinnen. Noch streiten die möglichen Präsidentschaftsnachfolger über die Wege: Als hätten sie nichts gelernt.

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