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Am Mittwoch wurde im Kabinett der vierte Armuts- und Reichtumsbericht verabschiedet.

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Armuts- und Reichtumsbericht: Schwarz-Gelb macht sich ein eigenes Bild

Statistiken hin oder her: Die Koalition hat sich auf 548 Seiten mit der sozialen Lage der Bundesbürger beschäftigt und kommt zu einem positiven Ergebnis. Doch sie verkennt die Lebenswirklichkeit vieler Deutscher.

Von Lutz Haverkamp

Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Das hat der Sozialdemokrat Kurt Schumacher mal gesagt. Und viele seiner Berufskollegen zitieren ihn gern, über alle Parteigrenzen hinweg – wenn es denn politisch gerade mal opportun ist. Am Mittwoch, als das Kabinett den Armuts- und Reichtumsbericht verabschiedete, wurde Schumachers Merksatz nicht überliefert.

Die Bundesregierung hat sich mit der vierten Auflage des Berichts viel Arbeit gemacht. Auf 548 Seiten beschreibt sie Lebenslagen in Deutschland. Es ist schon so, dass die Wirtschafts-, Euro- und Schuldenkrisen der vergangenen Jahre an vielen Menschen in der Bundesrepublik nahezu spurlos vorbeigegangen sind. Die Zahl der vollzeitbeschäftigten, sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze hat zugenommen und die Arbeitslosigkeit ist gesunken – das hat viele Familien glücklich gemacht, soziales Elend gemildert, Lebenslagen in Deutschland verbessert. Dass eine Regierung – allemal in einem Wahljahr – das betonen möchte, ist ihr gutes Recht.

Aber mindestens genauso viel Arbeit hat sich diese Bundesregierung in den vergangenen Monaten damit gemacht, mit der Opposition und gesellschaftlichen Gruppen über einzelne Passagen im Entwurf des – häufig nur Armutsbericht genannten – Dokuments zu streiten. Das wurde weder den Menschen im Land gerecht, noch hat es das Ergebnis verbessert. Was hängen bleibt, ist der Vorwurf der Schönfärberei. Zu Recht.

Die Themen an sich sind kompliziert genug. Zwischen allerlei Durchschnittswerten und Gini-Koeffizienten kann sich jeder halbwegs talentierte Statistiknutzer seine eigene Wirklichkeit zusammenzimmern. Ob das dann die Realität möglichst genau beschreibt, ist eine ganz andere Frage. Allein mit Median und Durchschnittswert werden Statistiker den Lebenslagen vieler Menschen nicht gerecht. Aldi-Gründer Karl Albrecht und die ärmsten eine Million Deutschen haben rechnerisch zwar durchschnittlich 20 000 Euro auf der hohen Kante, ob das eine Annäherung an die Realität ist, darf wohl mehr als bezweifelt werden.

Auch ohne Armuts- und Reichtumsbericht sind die sozialen und wirtschaftlichen Schieflagen in Deutschland weitgehend bekannt. Zu viele Menschen arbeiten für Hungerlöhne, zu viele Jugendliche haben keine berufliche Perspektive, zu viele Kinder leben von staatlicher Alimentierung, zu viele Rentner bekommen eine wirklich bitter kleine Rente. Für diese Erkenntnisse bedurfte es nicht der vierten Auflage des Armutsberichts – nicht einmal in der ersten Rohfassung.

Die Spielräume der Bundesregierung waren wegen der guten Konjunktur und enormen Steuereinnahmen größer, als gehofft werden konnte. Politisch hat sie diese nicht ausreichend genutzt. Denn sie hat sich nur ihr eigenes Bild gemacht – von ihrer eigenen Wirklichkeit. Und die hat jetzt einen sonderbaren schwarz-gelben Farbstich.

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