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Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle.

© dpa

Atompolitik: Keine Linie, kein Kreuz

Der Bundeswirtschaftsminister hält den Atomkurs der Regierungsspitze für gaga. Rainer Brüderles Fauxpas in Sachen Atompolitik verunsichert alle – auch die eigenen Wähler.

Von Antje Sirleschtov

Drei Tage nach dem Beginn der Atomkatastrophe in Fukushima haben Kanzlerin und Vizekanzler eine atemberaubende Kehrtwende in ihrer Energiepolitik hingelegt. Haben sie bis dato deutsche Kernkraftwerke als die „sichersten der Welt“ bezeichnet, schlossen sie nun plötzlich die sieben ältesten wegen Sicherheitsbedenken sofort.

Es gibt wohl niemanden hierzulande, der ernsthaft geglaubt hat, dass dieser Schwenk allein einem durch japanische Verhältnisse ausgelösten Läuterungsprozess in der Regierungsspitze gefolgt ist. Angela Merkel und Guido Westerwelle haben geahnt, dass ein „Weiter so“ in der Atompolitik nach Japan den Grünen in Baden-Württemberg zwangsläufig zu einem gewaltigen Aufschwung und gleichsam Schwarz-Gelb den sicheren Tod gebracht hätte. Sicherer auf jeden Fall als mit einer Atomwende. So weit zum normalen politischen Reflex: Merkel und Westerwelle, das Image ohnehin zerrupft, haben die Flucht nach vorne angetreten. Getreu dem Motto aller Stadtmusikanten: „Etwas Besseres als den Tod finden wir überall.“

Dass die schwarz-gelbe Strategie nun durch eine Dummheit des Wirtschaftsministers Rainer Brüderle amtlich bestätigt wurde, ist daher nicht bemerkenswert. Wie gesagt: Nur, wer an den Weihnachtsmann glaubt, glaubt auch daran, dass zwei Parteivorsitzende zwei Wochen vor entscheidenden Wahlen nicht an die Wirkung ihres Tuns auf die Wähler denken.

Sehr viel bemerkenswerter, weil es etwas über die schwarz-gelbe Zukunft aussagt, ist allerdings, wie der Wirtschaftsminister von der FDP den neuen Atomkurs inhaltlich bewertet: nämlich mit „nicht rational“, zu Deutsch: ziemlich gaga. Und da kann Herr Brüderle leugnen, so lange er will. Jeder, der Brüderle kennt, weiß, dass er über die Angelegenheit exakt so dachte. Und natürlich auch heute noch genauso denkt. Man kann sie sich schon vorstellen, die schwarz-gelben Streitereien, die folgen, wenn die Bundesregierung den kommenden Wahlsonntag übersteht und dann umsetzen muss, was sie vor zwei Wochen versprochen hat. Eine Energiewende mit „Augenmaß“ hat Merkel reichlich unscharf angekündigt. Da soll sich keiner über den Vorwurf mangelnder Glaubwürdigkeit beklagen.

Brüderles Einlassung vor den Topmanagern der deutschen Industrie wirft allerdings auch auf die Zukunft seiner Partei ein bezeichnendes Licht. Während der Chef, Westerwelle, lärmend vorwegrennt, tritt Brüderle im Hintergrund auf die Bremse. Das mag zwar den Kernkraftfans unter den FDP-Wählern kurz vor dem Urnengang die Botschaft senden, dass es schon nicht so schlimm werden wird mit der Energiewende. Doch von diesen wenigen abgesehen verunsichert es die eigenen Anhänger nur noch mehr. So regiert man kein Land. Und so macht man schon gar keinen Wahlkampf.

Strafen die Wähler die FDP am Sonntag in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg deutlich ab, wählen sie die Liberalen vielleicht sogar aus dem Landtag, dann wird das nicht ohne Folge für ihre Spitzenleute bleiben. Für Brüderle ebenso wie für Westerwelle.

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