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Meinung: Auch schlechte Arbeit ist Arbeit

Wie Union und FDP eine moderne Integrationspolitik betreiben könnten

Am vergangenen Freitag war der Internationale Tag der Migranten. Wieder einmal wurde das gesamte rhetorische Integrationsprogramm abgespult. Wie wichtig die Bildung und ein Schulabschluss seien, gute Deutschkenntnisse und ausreichend Kindergartenplätze, kulturelle Kenntnisse und genügend Erzieher. Das alles ist richtig – und dennoch bietet sich mit der neuen Bundesregierung die Chance für eine klarere Justierung der Prioritäten. Um es kurz zu sagen: Pragmatismus geht vor Prinzipien, Arbeit vor Bildung, schlechte Arbeit ist besser als keine Arbeit.

Zu Zeiten der rot-grünen Regierung und in der großen Koalition mussten Integrationspolitiker viel Rücksicht auf Gewerkschaften nehmen. Denn die stehen den Sozialdemokraten im Zweifel näher als jene rund 15 Millionen Menschen mit „Migrationshintergrund“, von denen knapp sieben Millionen keinen deutschen Pass haben und daher als Ausländer registriert sind. Die enge Verzahnung von SPD und Gewerkschaften verhinderte eine Diskussion über integrationsfördernde Arbeitsmarktreformen. Dabei dürfte unstrittig sein, dass das deutsche Korsett aus rigiden Ausbildungsvorschriften (Geselle, Meister), betrieblichem Kündigungsschutz, hohen Sozialversicherungsabgaben, Mindestlöhnen und Tarifbindung die Arbeitsplatzbesitzenden privilegiert und sich gegen die Arbeitsplatzbegehrenden abschottet.

Natürlich ist gute Arbeit (anständig besoldet und sicher) besser als schlechte Arbeit (mies bezahlt und unsicher). Aber schlechte Arbeit ist allemal besser als keine Arbeit. Durch Arbeit definiert sich der Mensch, es ist die Universalkategorie seiner Existenz. Die Arbeitslosenquote von in Deutschland lebenden Ausländern liegt bei 20 Prozent, sie ist mehr als doppelt so hoch wie die von Inländern. Das liegt zum großen Teil an gravierenden Bildungs- und Ausbildungsdefiziten, aber eben auch an dem relativ unflexiblen Arbeitsmarkt. Und: Mit Bildungs- und Ausbildungsprogrammen werden nur die heranwachsenden Zuwandererkinder erreicht, nicht die akut Arbeitslosen.

Was ist nun gesellschaftspolitisch besser: Hundert gute Arbeitsplätze mit Zähnen und Klauen zu verteidigen und 20 Arbeitslose als Preis dafür in Kauf zu nehmen – oder die 100 Arbeitsplätze umzuwandeln in 90 gute und 20 schlechte Arbeitsplätze bei verbleibenden zehn Arbeitslosen? Das ist die Grundfrage einer realitätsbezogenen Integrationspolitik. Sozialdemokraten und Gewerkschafter haben vor Niedriglöhnen, befristeten Arbeitsverhältnissen und flexiblen Arbeitszeiten traditionell ziemlichen Bammel. Union und FDP könnten in dieser Beziehung ausländerfreundlicher agieren.

Freilich müssen auch sie Rücksichten nehmen. Die Klientel der Liberalen, vom Handwerksmeister bis zum Apotheker, profitiert vom deutschen dirigistischen Arbeitsmarkt. Und einige Unionisten hängen so sehr an dem beliebten xenophoben Argument, die Ausländer fielen dem deutschen Steuerzahler zur Last, dass durch jede Zustandsänderung ihr eigenes Weltbild gefährdet wäre. Dennoch: So wie nur ein SPD-Kanzler in der Lage war, die Agenda 2010 durchzusetzen, so wäre die Reform des deutschen Arbeitsmarktes zum Wohle der Migranten eine integrationspolitische Großtat, die wohl nur Union und FDP stemmen könnten.

In einer gerechten Gesellschaft müssen die Arbeitsplatzbesitzenden mehr Opfer bringen, damit die Arbeitsplatzsuchenden in Lohn und Brot kommen. Das wäre ein modernes politisches Projekt, das uns die Notwendigkeit des letzten Regierungswechsels durchaus mal plausibel machen würde.

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