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Andrea Dernbach

© Kitty Kleist-Heinrich

Auf den Punkt: Emotionaler Spagat

Andrea Dernbach über die Deutschtürken und Deutschland

Die jüngste Umfrage unter Deutschtürken dürfte wieder einmal das Vorurteil weiterwälzen, dem ihre Auftraggeber vermutlich abhelfen wollten: Die Schlagzeilen lauten: "Türken wollen Türken bleiben" oder "Deutschtürken konservativer als ihre Eltern". Skandal, Skandal mit großem Ausrufezeichen, das denken wir uns dazu. Aber was ist daran so skandalös? Befragt wurden junge Leute, die mit mehr als einer Sprache aufgewachsen sind, mit anderen Bräuchen und mehr als einer Kultur. Warum sollten sie nicht, wie es in der Studie heißt, "fest zu ihren kulturellen und religiösen Wurzeln" stehen? Schließlich scheinen sie auch fest zu Werten zu stehen, die fundamental für das Zusammenleben in einem EU-Land sind: Demokratie, Rechtsstaat und religiöse Toleranz sind ihnen ebensoviel wert wie ihren deutsch-deutschen Altergenossen. Ihr Wertegerüst entspricht also perfekt ihrer - mindestens - doppelten kulturellen Prägung.

Etwas weiteres kommt hinzu, das in der, grundsätzlich berechtigten, Debatte um Bildungsdefizite und Arbeitslosigkeit unter Migranten allzu oft unterschlagen wird: Viele Gastarbeiterkinder haben auch einen unglaublichen sozialen Aufstieg erlebt. Das bedeutet für den Einzelnen oder die Einzelne meist einen enormen emotionalen Spagat: Hier die Uni, dort der Vater, die Mutter, die putzen gehen oder von Stütze leben - und die Entfernung der Kinder vom eigenen Leben nicht immer als reines Glück sehen. Wer nicht alle Brücken zur Familie abbrechen will, hält gerade deswegen an der Kultur und den Werten der Alten fest. Davon könnten nicht nur Migranten erzählen, sondern auch Mehrheitsdeutsche - die erste Tochter, die studieren durfte, der erste Bauernsohn, der in die Stadt zog. In einer Gesellschaft, in der sich die mittlere und hohe Führungsschicht mehr und mehr aus den eigenen Reihen ergänzt, scheint diese Erfahrung aber nicht mehr lebendig zu sein.

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