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AUF DEN PUNKT: Schlechter Stil

Mathias Klappenbach über Nationaltorhüter Jens Lehmann

Jens Lehmann konnte noch nie mit Kritik umgehen. Unbeirrbar hat er niemals Zweifel an seiner eigenen Stärke zugelassen, auch wenn die Fakten einen anderen Schluss nahelegten. Lehmann rannte gestern im Länderspiel gegen Österreich zum falschen Zeitpunkt 30 Meter weit aus seinem Tor und am Ball vorbei, patzte bei Flanken, ließ einen Schuss fallen und brachte seine Mitspieler mit schlechten Abwürfen in Bedrängnis. Fußballdeutschland bekam vor dem Fernseher unerwartete Sorgen vor der Europameisterschaft, bei der so viele an den Titel glauben. Lehmanns knappes Fazit lautete: „Ich habe einen Fehler gemacht. Dass man nicht jeden Ball bekommen kann, wenn man so ein risikoreiches Spiel spielt wie ich, ist leider so.“

Schon vor zehn Jahren hat er nicht nachvollziehen können, warum ihm beim AC Mailand ein anderer namens Sebastiano Rossi vorgezogen wurde, ebenso wie jetzt beim FC Arsenal der nicht sehr bekannte Manuel Almunia, der ins Team kam, weil er weniger schlecht als Lehmann hielt. Obwohl aktuell alles gegen den 38-Jährigen spricht, fabuliert er weiter von seiner baldigen Rückkehr ins Tor bei seinem Klub, weil der andere schlechter sei als er. Das ist schlechter Stil und ebenso unrealistisch wie Lehmanns Einschätzung seiner eigenen Leistung gegen Österreich.

Er steht im deutschen Tor, weil er so ein risikoreiches Spiel spielt. Den Torwartstreit gegen Oliver Kahn vor der WM 2006 hat er vor allem deshalb gewonnen, weil er ein mitspielender Torwart ist, der bestens ins System der Nationalmannschaft passt. Doch genau das ist derzeit sein Problem. Für seine Art zu spielen benötigt er auch mit 38 Jahren und großer Erfahrung ständige Praxis, die ihm Sicherheit gibt. Bisher war das für den Bundestrainer Joachim Löw zumindest offiziell kein Problem.

Um seinen Platz muss Lehmann trotz seiner katastrophalen Leistung zunächst nicht zu sehr bangen. Seine Konkurrenten Timo Hildebrand und Robert Enke entsprechen ebensowenig wie 2006 Oliver Kahn dem gefragten Torwarttypus. Lehmanns Vorteil ist, dass es außer den unerfahrenen Manuel Neuer aus Schalke und dem Leverkusener René Adler keinen passenden Ersatz gäbe. Eine komfortable Lage, in der Lehmann Selbstkritik nicht notwendig erscheint? Vielleicht. Oft wurde er als arrogant bezeichnet. Doch in seiner ihm eigenen Art der Realitätswahrnehmung liegt Lehmanns große Fähigkeit. Negatives existiert nicht, und irgendwann wird es ja auch wieder positiv und im Tor steht Jens Lehmann. War doch bisher immer so. Bisher.

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