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Malte Lehming

© Kai-Uwe Heinrich

Israel: 60 und kein bisschen weise

Malte Lehming gratuliert Israel zum Geburtstag

Israel wird sechzig. Da ist viel zu geschrieben worden, in Deutschland fast noch mehr als in Israel selbst. Poetisches, Elegisches, Erhabenes, Profanes, je nach Geschmack. Doch was denkt das Volk hier bei uns? Schauen wir ihm aufs Maul und prüfen acht seiner Sätze, kurz und knapp.

Erstens: Die Gründung des Staates Israels basiert auf einem Akt der illegalen Landnahme. - Richtig. Bloß was folgt daraus? So gut wie kein Staat der Welt ist das Ergebnis eines Wattepustenwettbewerbs, sondern ging aus Krieg, Vertreibung und Landnahme hervor. Haben in den USA, bevor die europäischen Siedler kamen, keine Menschen gelebt?

Zweitens: Die Deutschen haben wegen ihrer Geschichte eine besondere Verantwortung für Israel. - Theoretisch richtig, praktisch falsch. Die Deutschen verstehen ihre besondere Verantwortung nämlich so, als ehemalige Täter nun die idealen Bewährungshelfer zu sein. Sie benutzen ihre Geschichte, um sich einmischen zu dürfen.

Drittens: Der Nahostkonflikt ist die Wurzel allen Übels in der Region. - Quatsch. Iran und Irak hätten auch ohne ihn Krieg geführt (eine Million Tote); die arabischen Staaten wären auch ohne ihn rückständig; Al Qaida engagiert sich lieber im Kampf gegen die Frauenemanzipation als für die Palästinenser.

Viertens: Verständigung bringt Frieden, das Sich-Kennenlernen führt zur Versöhnung. - Unbewiesen. Ob Newe Schalom oder gemischte Orchester: In Israel gibt es Dutzende von israelisch-palästinensischen Projekten, das Ergebnis ist mau. Vielleicht mögen sich die beiden Völker auch deshalb so wenig, weil sie sich so gut kennen.

Fünftens: Frieden im Nahen Osten ist ohne US-Engagement nicht möglich. - Womöglich stimmt das Gegenteil. Für Bill Clinton stand der Nahe Osten auf Platz zwei seiner Agenda (gleich nach Monica Lewinsky), keinen anderen Staatsmann hat er so oft im Weißen Haus empfangen wie Jassir Arafat. Zum Dank hat der dafür die zweite Intifada vom Zaun gebrochen. Und von den Geheimverhandlungen in Oslo zwischen Israel und der PLO, die eine Zeitlang die Friedenshoffnungen nährten, wurden die USA komplett überrascht.

Sechstens: Vielleicht gibt es ein Abkommen noch zum Ende der Amtszeit von George W. Bush. - Vielleicht-Sätze lassen sich schlecht bewerten. Sagen wir es so: Als der Oslo-Prozess zusammenbrach, wurde der Mitchell-Plan ins Leben gerufen, als der nicht klappte, wurde der Tenet-Waffenstillstand ausprobiert, dann wurde Anthony Zinni entsandt, später sollte Colin Powell die Zinni-Mission wieder beleben, um den Tenet-Waffenstillstand zu ermöglichen, der zum Mitchell-Plan und schließlich wieder zum Oslo-Prozess zurückführt. Das klappte auch nicht, also wurde eine Roadmap erfunden, gefolgt von einer Annapolis-Konferenz. Abwarten und Tee trinken.

Siebtens: Die jüdische Lobby in den USA verhindert den Frieden. - Ob sie ihn verhindert oder ermöglicht, weiß keiner. Amerika ist der engste Verbündete Israels. Das hat aber nur zum Teil mit der jüdischen Lobby zu tun. Amerikaner sind Moralisten. Im Nahostkonflikt sehen sie einen kleinen Staat Israel als Insel der Demokratie, die von einer arabischen Horde aus Diktatoren, Terroristen und Tyrannen in seiner Existenz bedroht wird. Klar, auf wessen Seite sie sind. Doch die virulenteste Groß-Israel-Lobby sitzt heute nicht in Kalifornien und New York, sondern in Alabama und Mississippi. Immer mehr Evangelikale glauben, dass die Juden einen biblisch begründeten Anspruch auf das gesamte Heilige Land haben. Sie lehnen jeden territorialen Kompromiss ab.

Achtens: Die Gründung eines palästinensischen Staates ist politisch notwendig und historisch geboten. - Absolut richtig. Israel muss sich selbst von der Herrschaft über ein anderes Volk befreien. Und sei es nur, um die Neugier darauf zu stillen, welche Ausreden die Araber dann haben, um ihre Unzufriedenheit zu begründen.

In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch, chag sameach!

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