zum Hauptinhalt

Meinung: Auf Treu und Glauben

Nördlich, östlich, protestantisch: Was Merkel und Steinmeier über Politik hinaus verbindet.

Das ist doch zum Lachen. Oder nicht? Er lacht, der Frank-Walter, Sach-Walter, scheppernd, dröhnend, wie am Stammtisch, im Bierzelt am Tresen, als wäre er da draußen in Brakelsiek, weit hinten im Lippischen, wo die Welt noch in Ordnung ist, zweigeschossig und verklinkert, und alle so ähnlich heißen wie Steinmeier. Da ist er nichts Besonderes, und das will er ja auch nicht sein, nirgendwo, immer noch nicht, keine „celebrity“, weil er dazu auch nicht taugt. Normal bleiben, Kirche im Dorf lassen, oder so, wie sie halt sagen, da, wo er herkommt. Vielleicht ist das sein Problem mit der sogenannten Öffentlichkeit: dass er keine öffentliche Person ist.

Dass er im Strom der Menschen auf dem roten Teppich nicht zu Hause ist, sondern zu Hause lieber nur Freunde reinlässt. Wirkliche, die ihn „Frank“ nennen. Und nicht Walter. Obwohl ihn ja so viele jetzt irgendwie nennen, weil er doch im Wahlkampf ist und jeden an sich ranlassen muss. Dann lacht er, und es klingt wieder anders. So kann man sich die Leute auch vom Leib halten, auf Distanz. Das ist ihm sowieso nicht unrecht.

Das ist doch zum – Lächeln. Wenigstens das. Sie hat ihre Hände wieder zusammengeführt, Finger an Finger, dass es aussieht, als wolle sie beten, die Schultern hochgezogen, die Mundwinkel runter. Ihr Maggie-Thatcher-Gesicht, obwohl die nie so ausgesehen hat, aber es wirkt halt so, so indigniert, als hätte sie unterm Tisch eine riesengroße Handtasche, die sie gleich rausholen würde, um mit ihr auszuholen. Wie man es halt von der britischen Eisernen Lady immer erwartet hat. Aber tut Angela Merkel immer das, was man von ihr erwartet? Nein. Sie wartet lieber, ob die Erwartungen „manifest“ werden, das sagt sie wirklich, ein neues Wort, das aber gut zu ihr passt. Manifest, das klingt wie damals, ganz, als hätte es rübergemacht aus dem Staat, in dem sie aufgewachsen ist, der DDR, in die „BeErrDee“, der sie nun vorsteht.

Das Kommunistische Manifest, Gott, das hat aber mit ihr doch so wenig noch zu tun wie, ja, wie die Zeit als FDJ-Sekretärin für Kultur und damit für Agitation und Propaganda und ihrem Leben und Streben als Pfarrerstochter in der Uckermark. Da hatte sie nämlich Aufgaben, sie konnte auch schön singen, ganze Lieder, Kirchenlieder, bevor es zum Zelten ging mit den anderen. Ja, Deutschland, geteiltes Land, geteilte Menschen. Und so kommt’s, dass sie plötzlich lächelt und jung wirkt, mädchenhaft fast, kohlmädchenhaft, um für sich bei den Wählern zu werben.

Nördlicher, östlicher, protestantischer werde Deutschland werden, hat vor gut zwanzig Jahren Volker Rühe gesagt, als er Handlungsreisender in Sachen Demokratie war und im Osten des neuen Deutschlands unterwegs, Schwerin, Güstrow, um die „Allianz für Deutschland“ zusammenzubringen. Die Mecklenburger hatten ihm zugehört, schweigend, mit ihren Prinz-Heinrich-Mützen auf dem Kopf, und dann hatten viele die CDU gewählt. So sieht Zustimmung aus, so kann man sich die schweigende Mehrheit vorstellen. Und manches davon ist schon eingetreten, durchgekommen durch die inzwischen unsichtbaren Grenzen, nachdem die Grenze bei Zarrentin abgebaut war. Nördlicher ist es geworden, vom Gestus, östlicher, durch Merkel und ihre kultivierte Art des Misstrauens gegen jede Versammlung, in der mehr als drei zusammen sind, und in ihrer Empfindlichkeit. Nachtragend ist sie außerdem. Nicht, dass sie nicht verzeihen kann, sie kann nur schwer vergessen.

Davon ist Steinmeier, der eingemeindete Niedersachse, nicht weit entfernt, in der Art halt, er zeigt es auch nicht so offen. Aber beide wollen eben nicht, dass man ihnen zu nahe tritt. Ihnen näher zu kommen, ist eine Frage der Distanz. Diese Dialektik macht sie beide spannend, auch in dem Sinn, dass man nicht weiß, welche Bemerkung bei der nächsten Gelegenheit wie ein Pfeil vom Bogen abgeschossen wird. Ihr Humor ist versteckt, aber vorhanden, ihrer wie seiner, leise boshaft kann er sein, schnell ironisch. Nur eben nicht in aller Öffentlichkeit. Wie der Witz nicht jedem gilt, so geht er halt auch nicht jeden an.

Und protestantisch sind die beiden in ihrer Art, ohne Frage. Da hat der Osten gesiegt, Berlin ist Hauptstadt, endgültig, mit allem, was dazugehört, Bonn mit seinem rheinischen Katholizismus und Kapitalismus ist ein Teil der „Geschichte“, wie Helmut Kohl sagte, bis er dann seine Strickjacke vom Gespräch im Kaukasus mit Michail Gorbatschow über die Einheit dem Haus der Geschichte überantworten konnte. Er dachte damals, 1990, auf dem Hamburger Vereinigungsparteitag der CDU, über den kleenen Ost-Berliner Lothar de Maizière gesiegt zu haben, indem er ihn in die Riege seiner Stellvertreter im Parteivorsitz einordnete. Dessen Humor, der hugenottisch-spöttische, hat den aber überdauert. Und das war immer ein Teil des Protestantischen, des Protestlerischen.

Darum sind die beiden verschieden und wieder gar nicht. Verschieden im Temperament sind sie, verschieden in der Grundanlage, Merkel situativer, als viele, viele von ihr denken, Steinmeier impulsiver, als er je hat nach außen dringen lassen. Aber in ihrer Arbeitsethik, da sind sie gleich, da sind sie evangelisch. Merkel hat auch einmal, kurz nach der Einheit, von 1992 bis 1993, ein Bekenntnis zu ihrem Glauben abgelegt: als Vorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises von CDU und CSU (EAK). Und wo die Katholiken verzeihen und sich verzeihen lassen, sind sie’s eben nicht. Vor allem nicht sich selbst gegenüber. Das, was so trocken erscheint, ist gelebte Moralität.

Es ist kein Zufall, dass Steinmeier evangelisch-reformiert glaubt. Diese Form des Glaubens war immer schon, im Gegensatz zum Luthertum, mit den republikanischen Städten verbunden, wo sich die vom Volk gewählten Regierungen für die Reformation entschieden – nach Disputationen. Reformierte Kirchen sehen auch genau so aus, wie Steinmeier es schätzt. Ihr äußeres Charakteristikum ist die sparsame Ausstattung, der einzige Schmuck sind oft Bibelverse. Und Vorrang hat das Wort. Lange gab es keine Gesänge. Die evangelisch-reformierte Kirche kennt auch keine Hierarchie im eigentlichen Sinn. Sie wird vielmehr von der Basis aus verwaltet und gibt nur die Aufgaben an Nächsthöhere ab, die sie an ihrem Ort nicht erledigen kann. So arbeitet Steinmeier, darum trug er die Akten im Kanzleramt ab, bis ihn Kanzler Schröder seinen „Mach-mal“ nannte, deshalb entwickelt er Pläne. Die nächsthöhere Ebene nur dann, wenn es nicht mehr anders geht. Hier stehen sie, und sie können nicht anders.

Und wenn man dann die nächsthöhere Ebene ist? Dann arbeitet man so wie Merkel – bis ins Detail. Es könnte ja sein, dass das nächste Detail das wichtigste ist, das alles entscheidet. Wie, zum Beispiel, auf dem Politikfeld Gesundheit, auf dem sich Merkel bis in die letzte Furche hineingewühlt hat. Und weil nach Luther der Mensch schlecht ist, muss er viel für seine und die allgemeine Besserung tun. Je mehr, desto besser.

Darum auch sahen sie im Fernsehen aus wie das Paar, das sie nicht sind. Zwei vom gleichen Schlag, nicht ganz eins, aber einig. Sie gehen die Probleme in ähnlicher Haltung an. Nicht gebückt, nicht gebeugt, aber geneigt und immer dem Kompromiss zugeneigt, der Disputation. Darum auch schrieb Steinmeier mit, als sie redete, und sie hörte zu, ihm zugewandt, als er sprach. Das Wort steht im Mittelpunkt. Die Arbeit. Das zu Leistende. Diese Nähe bestimmt ihre Distanz.

Zur Not lacht Steinmeier, dass es scheppert. Und lässt Merkel lächeln.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false