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September 2008: Die rechtsgerichtete Bürgerbewegung "Pro Köln" plante auf dem Kölner Heumarkt eine Kundgebung, die jedoch aus Sicherheitsgründen von der Polizei untersagt wurde.

© ddp

Migranten: Auftrieb für Parolen

Hetze gegen Migranten funktioniert, weil die Politik die Probleme nur halbherzig anpackt. Dabei ist die Debatte über die gemeinsame Zukunft von Deutschen und Nichtdeutschen zu wichtig, als sie Sarrazin zu überlassen. Ein Kommentar.

Von Frank Jansen

In fast genau einem Jahr wird in Berlin gewählt. Zu den Aufregern im Wahlkampf könnte ein Thema gehören, das viele fürchten: Die Probleme beim Zusammenleben mit Migranten. Die Sorge, ultrarechte Demagogen würden mit Stichworten bedient, die sie in verbale Brandsätze umwandeln, erscheint berechtigt. Was Thilo Sarrazin von sich gibt, vor allem über Muslime, wird in der NPD und bei den Islamfeinden von Pro Deutschland gern gehört und ruck, zuck zu Munition verarbeitet. Die in Berlin tonangebenden linksliberalen Milieus reagieren allerdings auf solche Provokationen oft mit einem Reflex: Dresche für den Provokateur, Thema weitgehend abgebügelt. Das ist kurzsichtig. Kopf in den Sand.

Weder verschwinden so die punktuellen, aber durchaus gravierenden Probleme, die es im Zusammenleben von Deutschen deutscher Herkunft und Deutsch-Migranten und Migranten schon lange gibt; noch werden die rassistischen Ressentiments in Teilen der Bevölkerung gemindert. Es läuft eben so weiter, bis zum nächsten Knaller von Sarrazin oder einer schockierenden Gewalttat migrantischer Jugendlicher. Dabei ist die Debatte über die gemeinsame Zukunft von Deutschen und Nichtdeutschen zu wichtig, als sie einem eitlen Banker zu überlassen. Einem Mann, der allen Ernstes die chinesische Mauer – gebaut zur Abwehr mongolischer Invasoren – als Beispiel für „die Regulierung von Zuwanderung“ anführt.

Die Notwendigkeit, energisch Fehlentwicklungen in Berlin und anderswo entgegenzutreten, wird offenkundig kaum begriffen. Jedenfalls wirkt der Entwurf des Senats zum „Gesetz zur Regelung von Partizipation und Integration in Berlin“ arg kopflastig. Was auf der Straße, auf Schulhöfen passiert, bleibt ausgeblendet. Sarrazin und die Rechten können auftrumpfen.

Derweil blüht die Misere weiter. Ein Teil der männlichen migrantischen Jugendlichen, vor allem türkischer und arabischer Herkunft, nervt mit seinem aggressiven Machogehabe, mit Schwulenhass und Judenfeindschaft. Die Gegenwehr von Staat und Zivilgesellschaft erscheint mäßig. Als werde befürchtet, entschlossenes Handeln, gerade auch der Polizei, könnte gewaltigen Aufruhr verursachen. So bleiben die Versuche, den Möchtegern-„Gangstern“ zivile Verhaltensnormen einzuimpfen, halbherzig.

Erstaunlich tolerant wird auch islamistische Hetze hingenommen. In Hamburg hat es fast neun Jahre gedauert, bis nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eine Brutstätte des Terrors, die Taiba-Moschee, zwangsweise geschlossen wurde. In Berlin feierten Islamisten in einer Betstätte den Angriff auf die USA, außerdem wollte ein Al-Qaida-Mann dort für einen Anschlag werben. Doch die Moschee bleibt offen. Immerhin hat Innensenator Körting einige Hassprediger so unter Druck gesetzt, dass sie Berlin verließen. Ob das reicht?

Die Probleme sind offenkundig. Um sie abzustellen, benötigt dieses Land keinen Sarrazin und schon gar keine Rechtsextremisten. Es sollte gehandelt werden, ohne Aufruf durch Einpeitscher. Bevor das Ergebnis einer Wahl unangenehm überrascht.

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