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Meinung: Aus Europa gesprengt

Die Türkei hat die Chance verspielt, den Kurdengebieten auf die Beine zu helfen. Jetzt ist der PKK-Terror zurück

Als gäbe es in der Türkei nicht schon genug EU-Gegner. Der kurdischen Rebellengruppe PKK ist es gerade recht, dass Ankara sich mit Blick auf die EU-Bewerbung derzeit keinen neuen Kurdenkonflikt leisten kann. Das macht den türkischen Staat möglicherweise erpressbar, lautet das Kalkül der PKK. Sie will die türkische Regierung mit Bombenterror dazu bringen, eine Generalamnestie für alle 5000 Kurdenkämpfer zu erlassen, was Ankara jedoch ablehnt. Die Kämpfer der PKK sitzen seit Jahren im Norden Iraks, ihr Chef Abdullah Öcalan ist im Gefängnis, ihr Rückhalt bei der kurdischen Bevölkerung in der Südosttürkei schwindet: Die PKK hat nichts zu verlieren, wenn sie nun wieder zum bewaffneten Kampf zurückkehrt. Die Türkei schon – und die Kurden auch.

In den vergangenen Monaten sind im Osten und Südosten der Türkei hunderte Menschen bei Anschlägen der PKK und bei Gefechten zwischen den Kurdenrebellen und der türkischen Armee ums Leben gekommen. Türkische Nationalisten fordern deshalb bereits ein härteres Durchgreifen des Staates.

Das wäre für die EU-Kandidatur der Türkei jedoch fatal, zumal in Europa ohnehin der Widerstand gegen eine Aufnahme des Landes und gegen den pünktlichen Beginn der Beitrittsgespräche am 3. Oktober wächst. Die Verhängung eines neuen Ausnahmezustandes in den kurdisch besiedelten Gebieten Südostanatoliens etwa würde beinahe automatisch die Verschiebung der Beitrittsgespräche nach sich ziehen: Wie sollte man mit einem Land, in dem große Teile unter Kriegsrecht stehen, über die rechtsstaatlichen Voraussetzungen für einen EU-Beitritt verhandeln?

Die Herausforderung für die türkische Politik liegt nur zum Teil darin, mit der neuen Terrorwelle fertig zu werden, ohne die demokratischen Errungenschaften der letzten Jahre aufs Spiel zu setzen. Ankara muss auch endlich mehr tun, um den völlig verarmten Kurdengebieten auf die Beine zu helfen. Die Regierungen der letzten Jahre haben es versäumt, in der Zeit der relativen Ruhe im Kurdengebiet seit 1999 neue Initiativen zur wirtschaftlichen Belebung der verarmten Region einzuleiten. Auch die sozialen Wurzeln des Kurdenproblems – etwa die nach wie vor verbreiteten Feudalstrukturen – blieben unangetastet.

Damit konservierte Ankara ungewollt ein gewisses Unterstützungspotenzial für die PKK im eigenen Land: Die Türkei hat die Chance vergeben, die Kurdenguerrilla über die Schaffung von Wohlstand, durch bessere Bildungschancen und ganz ohne militärischen Druck zu besiegen. Nun gefährdet wieder Gewalt den friedlichen Wiederaufbau der Region. Anschläge und Kämpfe im Südosten verschrecken derzeit die wenigen Unternehmen aus dem In- und Ausland, die im Kurdengebiet investieren und Arbeitsplätze schaffen wollten. Nicht zuletzt deshalb lehnen die allermeisten Kurden die neue Gewaltwelle der PKK ab. Anders als in den neunziger Jahren wird die PKK von den meisten Kurden nicht mehr als legitime Vertreterin ihrer Volksgruppe gesehen.

Das neue Terrorproblem der Türkei betrifft aber auch die Europäer, und zwar nicht nur wegen der getöteten Urlauber oder der türkischen EU-Kandidatur. Die PKK nutzt Europa als wichtiges Standbein. Hier besorgt sie sich Geld, hier arbeitet ihr politischer Flügel, von hier aus verbreitet sie ihre Propaganda. All das, obwohl die PKK von der EU und auch von den USA offiziell als Terrororganisation eingestuft wird.

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