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Meinung: Bayer: Aus Schaden wird man wach

Das Schrecklichste ist: Der Tod eines Menschen ist eigentlich kein Schaden. Schäden kann man ersetzen.

Das Schrecklichste ist: Der Tod eines Menschen ist eigentlich kein Schaden. Schäden kann man ersetzen. Niemand kann dagegen einen Verstorbenen ins Leben zurückholen, kein Geld das Leid seiner Angehörigen aus der Welt schaffen. Ein Schaden ist ein zerknautschter Kotflügel, ein Rohrbruch in der Wohnung, auch der Absturz einer Aktie. Dies ist das Widersprüchliche am Streit um die Millionen-Klagen gegen Bayer. Und am Ende womöglich der tiefere Grund dafür, warum der Konzern wegen des Cholesterinsenkers Lipobay nicht ruiniert und kein Kläger wirklich zufrieden sein wird. Die Einzigen, die in diesem Streit gewinnen können, sind in finanzieller Hinsicht die Anwälte - und in ideeller vielleicht das Recht.

Der Wirbel um die gewaltigen Forderungen vor den amerikanischen Gerichten überdeckt die Tatsache, dass es im Zivilverfahren eine ähnliche Regel gibt wie im Strafprozess: Bis zum vollstreckbaren Urteil gibt es kein Geld, bis zu einem Schuldspruch hat ein Angeklagter als unschuldig zu gelten. Schadenersatzforderungen können vor den Augen kritischer Richter zusammmenschnurren wie überzogene Vorwürfe von Staatsanwälten. Dass über jede Millionen-Klage in den USA spektakulär berichtet wird, bedeutet noch nicht, dass die Betroffenen später in Dollars baden. Dort nahmen in der Vergangenheit entsprechende Klagen ab, die zugesprochenen Summen sanken. In weniger als zehn Prozent der Fälle floss tatsächlich Geld.

Das amerikanische Recht hat dort ein natürliches Regulativ, wo das deutsche ein normatives besitzt. Für Schäden im klassischen Sinn gibt es hier zu Lande Ersatz, für persönlichen Verlust und seelisches Leid das Schmerzensgeld. Unabhängig von den Geschehnissen um Bayer plant die Bundesregierung hier eine sinnvolle Reform: Arzneimittel-Geschädigte sollen es vor Gericht leichter haben, Schmerzensgeld durchzusetzen. Diese so genannte Gefährdungshaftung des Herstellers gilt bereits bei Medikamenten-Schäden und wird wie dort nach oben begrenzt. Solche Reformen folgen der Erkenntnis, dass wir zu wenig von dem hatten, was uns in den USA zu viel erscheint: Bewusstein für die Opfer und ein Empfinden dafür, was ein Produkt alles anrichten kann.

Natürlich müssen Schmerz und Schaden der Opfer deshalb justiziabel sein. Der Tod eines Menschen ist zwar nicht kompensierbar. Kompensiert werden muss er dennoch. Dass menschliche Tragik dadurch kommerzialisierbar wird, mag zynisch klingen. Aber für viele Angehörige ist es lebensnotwendig. In welcher Höhe es dann geschieht, unterliegt dem gesellschaftlichen Wandel.

Nachdem früher die Summen etwa für Verletzte nach einem Verkehrsunfall skandalös niedrig lagen, hat in den letzten Jahren eine Anpassung stattgefunden. Um zu vermeiden, dass es viele Millionen werden, sind gesetzliche Obergrenzen durchaus legitim. Ohnehin erwachsen die gigantischen Entschädigungssummen in Amerika nicht nur aus mehr Rücksicht auf die Opfer, sondern vor allem aus dem Bedürnis, die Konzerne zu bestrafen und zu mehr Aufsicht anzuhalten. Im weniger regulierten Amerika mag das nötig sein. In Europa wird diese gute Absicht häufig durch mehr staatliche Kontrolle ersetzt.

Man sollte die Anforderungen an die Unternehmen nicht überspannen. Dennoch trifft einen Pharma-Hersteller eine besondere Verantwortung. Ihren Risikobereich betreten die Menschen nicht freiwillig, sie werden durch ihre Krankheit dazu gezwungen. Beim ersten Anzeichen von Gefahr muss der Hersteller sie warnen, auch wenn sie dann so schnell nicht wiederkommen. Wenn die Börse darunter leidet, sollte sich die Börse daran gewöhnen.

Mit den drohenden US-Urteilen muss Bayer leben. Ein Lamento über das Ausnutzen der günstigeren Rechtsordnung wäre nicht gerechtfertigt. Wer im Ausland verdient, muss dort auch bezahlen. Ohnehin könnte der Vorgang eine Entwicklung fördern, die notwendig ist: mehr Internationalisierung des Rechts. Ein internationales Strafgericht mag alle Aufmerksamkeit bannen, aber das Private ist es meist, was den Paragrafen wirklich Beine macht. Der Schaden ist nicht umsonst der Ursprung allen Rechts. Man kann aus ihm nur klüger werden.

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