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Nach zehn Jahren wieder auf freiem Fuß: Michail Chodorkowsky bei seiner Freilassung.

© AFP

Begnadigung in Russland: Putin hat's genommen, Putin hat's gegeben

Russlands Präsident Wladimir Putin verkündet die Freilassung politischer Gefangener und bereits einen Tag später ist Michail Chodorkowski auf freiem Fuß. Ein Systemumschwung ist in Russland jedoch nicht zu erwarten.

Sollen wir nun erleichtert, vielleicht sogar dankbar sein? Russland lässt politische Gefangene frei, darunter den Ex-Ölmagnaten Michail Chodorkowski, die Musikerinnen der Punkband Pussy Riot und Greenpeace-Aktivisten. Ein Zeichen später Einsicht? Solche Korrekturen hatte der Westen lange gefordert. Nur leider deutet nichts auf ein Umdenken Wladimir Putins hin. Er agiert nach der göttlichen Devise „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen“. Sein Gnadenerweis ist ein ebenso willkürlicher und selbstherrlicher Akt wie die politisch motivierten Prozesse, die die Betroffenen hinter Gitter gebracht hatten.

Ein Wende wäre es, wenn Chodorkowski oder Pussy Riot eine echte Chance hätten, das Urteil innerhalb eines von der Politik unabhängigen russischen Rechtssystems anzufechten und nachzuweisen, dass sie zu Unrecht verurteilt wurden. Haben sie aber nicht. In Putins Russland gibt es nur einen von oben gelenkten Rechtsstaat. In diesem System ist es nicht maßgeblich, ob jemand schuldig oder unschuldig ist, sondern ob er oder sie der Führung unbequem wird. Der Kreml missbraucht die Justiz als politische Waffe. Es gibt keine Gleichheit vor dem Gesetz.

Genau das zeigt gerade der Fall Chodorkowski. Es ist ja durchaus denkbar, dass die Anklagen der Geldwäsche und der Steuerhinterziehung gegen ihn nicht völlig aus der Luft gegriffen waren. Ähnliches gilt freilich für nahezu jeden, der in den ökonomischen Wild-West-Jahren nach dem Zerfall der Sowjetunion zu riesigem Vermögen gekommen ist. Probleme mit der Justiz haben aber nur diejenigen, die wie Chodorkowski ihre ökonomische Macht zu nutzen versuchten, um sich auch politisch von der Kremlführung zu emanzipieren.

Eine Justizreform, um das zu ändern, plant Putin nicht. Er hat seinen und Russlands Ruf ruiniert. Jetzt, da härtere Zeiten anstehen, lebt es sich damit nicht ganz so ungeniert, wie das Sprichwort behauptet. Vor den Winterspielen in Sotschi möchte Putin nun politisch gut Wetter machen und wohl auch internationale Investoren zurückgewinnen. Die Weltmarktpreise für Russlands Haupteinnahmequelle, Erdgas und Öl, sinken dank der Ausweitung der Fracking-Technik in Nordamerika. Russlands Wirtschaft kommt unter mehr Wettbewerbsdruck.

Verlorenes Vertrauen lässt sich jedoch nicht so einfach zurückgewinnen. Westliche Firmen, die schon einmal in die Fänge der russischen Steuerbehörden geraten sind, haben ihre Lektion gelernt. Und die ukrainischen Oligarchen begreifen, dass sie selbst in ihrem unvollkommenen und willkürlichen System größere Freiheiten genießen, als sie das in einer Wirtschaftsunion mit Russland unter Putins Führung erwarten dürften.

Gewiss sind ukrainische Medien nicht „frei“ im westlichen Sinne. Sie sind abhängig von ihren Geldgebern, voran den Oligarchen. Doch die Art, wie sie über die Massenproteste gegen eine Abkehr vom Europakurs berichten, wirkt pluralistisch gemessen an der Gleichschaltung russischer Medien. Und sie zeigt, dass dieser Unterschied den Oligarchen nicht egal ist.

Putins Amnestie ist nicht mehr als Symbolpolitik. Das gilt freilich auch für Obamas Entscheidung, bekennende Homosexuelle in seine Olympiadelegation zu berufen, und für die deutsche Debatte, ob der Bundespräsident oder „nur“ die Kanzlerin nach Sotschi reist. Ziel westlicher Russland-Politik muss es sein, die Strukturen zu verändern und nicht nur in Symbolfragen die richtige Haltung zu zeigen.

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