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Meinung: Belohnung für die Bindungslosen

Wer den Familien weitere soziale Bürden auflädt, zerstört die Keimzelle der Gesellschaft

Die Familie ist eine Verantwortungsgemeinschaft, da hat Ronald Pofalla recht. Der Generalsekretär der CDU hat aber nicht verstanden, dass Familie ihre Rolle als subsidiäres System, in dem Menschen selbstlos und selbstverständlich anderen Menschen helfen, heute unter ganz anderen Bedingungen erfüllen muss als im alten Wirtschaftswunderland. Die CDU, damals die Familienpartei, hat irgendwie den Anschluss verloren an das, was „Familie“ eigentlich ist. Pofallas Vorschlag, die Unterhaltspflicht gut verdienender Kinder gegenüber ihren arbeitslosen Eltern wieder einzuführen, ist dafür ein Beispiel.

An sich ist die Idee von abstrakter ordnungspolitischer Schönheit: Familiensolidarität geht vor staatliche Solidarität. Das findet millionenfach statt, als freiwillige Leistung. Noch nie haben Großeltern private Transferleistungen in solchem Umfang an Kinder und Enkel gegeben. Die Beziehungen junger Erwachsener zu ihren Eltern sind enger als in vorhergegangenen Generationen. Noch nie haben Eltern so lange für ihre Kinder sorgen müssen. Und erstmals steht eine junge Generation vor der Situation, dass sie die Pflichten des Generationenvertrags erfüllen, aber kein verlässliches Recht mehr daraus ableiten kann.

Das System Familie steht unter ungeheurem Druck. Auch, weil die staatliche Steuer- und Sozialpolitik ihren inneren Veränderungen hinterherhinkt. In erster Linie aber, weil die rasanten Veränderungen der Ökonomie die mikrosoziologischen Beziehungen in ähnlicher Weise durchrütteln wie die industrielle Revolution. Die große Industrie hat bekanntlich die Großfamilie zerstört. Ob die globalisierte Wirtschaft die Kleinfamilie zerstören wird, ist eine offene und ernste Frage. Unsere Arbeitswelt verlangt den flexiblen Menschen. Sie reduziert die alten Sicherheitsversprechen. Sie trennt den Familienvater vom Wohnort seiner Kinder. Sie nimmt jungen Menschen die Zeit für die Familiengründung. Ihr Tempo und ihr Takt stehen im Gegensatz zu den Bedürfnissen des Systems Familie.

Die Konflikte junger Frauen zwischen Beruf und Kinderwunsch spiegeln das nur besonders dramatisch. Ganz unter der Hand entwickeln sich die Unterschiede zwischen Elternschaft und Kinderlosigkeit zum modernen Klassenunterschied. Denn die neuen Konkurrenzverhältnisse begünstigen die Beweglichen, die Bindungslosen.

Wer will, dass Familie die Keimzelle des Staats bleibt, darf am allerwenigsten ihr den Preis für die Kehrseiten dieser Entwicklung aufbürden. Ältere Langzeitarbeitslose sind klassische Verlierer des neuen Taktes auf dem Arbeitsmarkt. Pofallas Vorschlag läuft darauf hinaus, das größere Jobrisiko und den Konkurrenznachteil von Eltern aus dem Geldbeutel ihrer Kinder zu finanzieren. Das wäre das Gegenteil von Gerechtigkeit und Familienförderung.

Trotz des äußeren Drucks auf ihren Zusammenhalt sind die emotionalen Bindungen zwischen Eltern und Kindern enger als früher: Die Familie ist eine lebenskräftige Institution. Sie ist das natürliche Widerstandspotenzial gegen die Auflösung des Gemeinschaftsgeistes, sie ist tatsächlich die Keimzelle des Staates. Der sollte deshalb tunlichst unterlassen, gesetzlich zu verlangen, was Eltern und Kinder sich und der Gesellschaft freiwillig geben.

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