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Meinung: Berlin ist längst Paris

Der deutsche Föderalstaat ist ein verkappter Zentralstaat

Das Land Berlin, streng genommen eine Kommune, möchte das Parken für Anlieger teurer machen. Hundert Euro im Jahr soll das künftig kosten, die bisherige Obergrenze liegt bei 30 Euro. Dafür braucht die Kommune die Zustimmung von Bundesrat und Bundestag, weil Obergrenzen solcher Gebühren zum Straßenverkehrsrecht gehören und daher bundeseinheitlich sein müssen. Verkehrs-, Finanz- und Innenausschüsse des Bundesrats haben sich damit befasst. Zuvor hatten mindestens 48 Landesministerien damit zu tun. Auch in der Bundesregierung hatten einige Beamte das Berliner Lokalbegehren auf dem Tisch.

In Deutschland wird zu viel dort geregelt, wo es nicht geregelt werden muss – und zwar zentral beim Bund. Die Parkgebührenposse zeigt, dass sich hinter der Fassade des deutschen Föderalismus in Wahrheit ein verkappter Zentralstaat verbirgt.

Nun aber kommt eine gute Nachricht: Bund und Länder reden derzeit intensiv darüber, wie man diesen Föderalismus reformieren kann. Und zwar so, dass man Zuständigkeiten wieder dort ansiedelt, wo man sie vernünftigerweise auch vermuten würde. Leider, und das ist der schlechte Teil der Nachricht, ist man von einer gemeinsamen Linie weit entfernt. Die große deutsche Föderalismusreform wird wohl nicht gelingen, weil der Politik wieder einmal der Mut zu einem wirklichen Schnitt fehlt. Offenkundig gelingt es nicht, den fatalen Konstruktionsfehler des Grundgesetzes namens „konkurrierende Gesetzgebung“ zu beheben und wieder zu einer klaren Trennung von Verantwortlichkeiten zu kommen. Die Konstruktion, an sich als pragmatische Lösung gedacht, gab auf Dutzenden Feldern den Ländern die Gesetzgebungszuständigkeit – so lange sie der Bund nicht an sich zog. Der Bund aber zog und zog und zog; der Bundesrat hat sich selten gewehrt. Über vierzig Jahre hinweg wurde so eben jene Form von Föderalismus geschaffen, den Euroskeptiker fürchten: ein verkappter Zentralismus.

Die Vorstellungen des Bundes in dem Reformstreit laufen auf noch mehr Zentralismus hinaus, verbrämt durch die Forderung nach Effizienz und Europafreundlichkeit. Das wäre die Zuspitzung einer Fehlentwicklung. Die Vorschläge der Länder kommen dagegen einer Reform weit näher als jene der Bundesregierung, die aus den Bundesländern wohl endgültig bessere Regierungspräsidien machen würden. Zwar will der Bund ermöglichen, dass künftig die Entscheidungen der Länderparlamente in bestimmten Fällen von Bundesgesetzen abweichen können. Aber eben nur im Rahmen von Öffnungsklauseln, die der Bund selbst vorgibt. Das wäre eine Eigenständigkeit nach Maßgabe des Bundes, keine Stärkung der Länder. Zumal dann nicht, wenn der Bund auf noch mehr Gebieten, wie der Bildungspolitik zum Beispiel, bestimmen will als er es jetzt schon tut.

Die Länder dagegen wollen die Entwicklung der letzten Jahrzehnte, in denen sie immer mehr an politischer Eigenständigkeit verloren haben, umkehren. Und ihre Vorschläge haben einen gewissen Charme. Der Kern ihrer Forderungen verbirgt sich hinter dem Begriff „Zugriffsrecht“: Der Bund soll auf den Feldern der konkurrierenden Gesetzgebung, die in Artikel 74 des Grundgesetzes aufgelistet sind, zwar weiter Gesetze machen, aber die Länder sollen davon nach eigenem Dafürhalten abweichen können. Landesrecht würde also Bundesrecht brechen – eine Umkehrung des derzeitigen Prinzips. Regionale Bedürfnisse könnten damit befriedigt werden, es gäbe weniger faule Kompromisse zwischen Bundestag und Bundesrat. In Mecklenburg zum Beispiel könnten dann Läden auch sonntags öffnen, wie die Regierung in Schwerin es gern hätte, und im Saarland könnte man sich an die Bundesregelung halten, wie es jetzt schon geschieht. Es könnte jenen Wettbewerb der Ideen und Experimente geben, der föderal organisierte Staaten beweglicher und effizienter macht als zentralistisch organisierte Länder. Und die in der Bundesregierung befürchtete Rechtszersplitterung würde kaum in einem Maß eintreten, das den Zusammenhalt der Bundesrepublik gefährdete. Mindestens jene Länder, die von der Partei regiert werden, die auch im Bund regiert, könnten ja nicht allzu stark abweichen.

In jedem Fall aber wären die Landtage aufgewertet und könnten wieder eigenständiger agieren als jetzt, wo sie oft nur noch abnicken, was von Brüssel und Berlin vorgegeben wurde.

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