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Meinung: Berlin – Paris, hin und her

Der Streit um die Bundestagsreise klingt nach Komödienstadel – ist aber fatal

Von Gerd Appenzeller

Paris, das klingt auf jeden Fall romantischer als, sagen wir, Hamburg. In einer Zeit, in der die Deutschen weniger reisten als heute und stattdessen mehr Kriege führten, war Paris der Gipfel der Soldatenherrlichkeit. Hübsche Mädchen und Champagner, eimerweise, so kann man sich Eroberungen gefallen lassen. In manchen Köpfen scheinen noch Erzählungen aus jener Ära herumzuspuken. Paris erweckt in ihnen keine anderen Assoziationen als Sumpf und Müßiggang. Wer nach Paris fahren will, hat die große Sause im Sinn. Und genau das fiel auch der Redaktion von „Bild“ ein, als man das erste Mal von der Idee hörte, der Bundestag wolle in Komplettbesetzung zu einem Festakt mit der französischen Nationalversammlung anlässlich des 40. Jahrestages des Elyseevertrages nach Paris reisen. „ParisSause“ titelten die Hamburger Kollegen, und machten auch gleich den Erfinder dieser Vergnügungsreise aus. Wolfgang Thierse, der sozialdemokratische Parlamentspräsident, ist der Verschwender.

Der Streit zwischen Thierse und „Bild“ darüber, wer an was schuld ist, geht seit einigen Tagen. Die Gerichte sind bemüht worden. Doch welche Gegendarstellung wann nicht gedruckt wird, ist im Moment so unerheblich wie die Frage, welche einstweilige Verfügung Bestand haben wird. Rein journalistisch gesehen, durfte „Bild“ tun, was es tat. Populismus ist nicht verboten. Und dass sich natürlich in den Reihen der Unionsabgeordneten Mitspieler fanden, ist auch nicht illegitim. Wie man Außenpolitik innenpolitisch instrumentalisieren kann, hat der Bundeskanzler im Wahlkampf mit dem Irakthema ja gerade erst demonstriert. Die Debatte um das „Wie“ des gemeinsamen deutsch-französischen Festaktes am 22. Januar kommenden Jahres im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles aber hat einen Punkt erreicht, an dem der Verstand in den Paris-besoffenen Köpfen gefordert ist.

Zwei große christdemokratische Bundeskanzler, Konrad Adenauer und Helmut Kohl, haben die deutsch-französische Aussöhnung zu Recht als geradezu konstituierenden Bestandteil ihres politischen Lebenswerkes gesehen. Der Elyseevertrag steht symbolhaft für das Miteinander der beiden Völker nach 150 Jahren bitterster Gegensätze. Es war der damalige Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Friedrich Merz, der vor einem Jahr im Bundestag den Antrag der Union einbrachte, das Parlament möge am 40. Jahrestag des Vertragsabschlusses eine gemeinsame Sitzung beider Häuser anstreben. Merz wusste sehr wohl, in welcher Tradition er sich dabei bewegte. Der Ältestenrat, das ist leider wahr, wollte mehrheitlich wegen des Aufwandes, und weil es ein Präzedenzfall sein könne, dem Gedanken nicht zustimmen. Er ließ dem Präsidenten aber freie Hand, eine gemeinsame Veranstaltung im Auge zu behalten.

Das hat Thierse gemacht, mit dem bekannten Ergebnis. Er hielt die Reise, darin mit Merz weiter einig, für richtig, zumal inzwischen auch eine offizielle Einladung des französischen Parlamentspräsidenten vorlag. Nun kann man darüber rätseln, warum der nicht ganz so bedeutende CSU-Abgeordnete Peter Ramsauer das alles einige Nummern kleiner haben wollte. Mag sein, dass er, wie „Bild“, die Devise für zugkräftig erachtete, in Zeiten leerer Kassen mache sich ein solches Signal der Bescheidenheit gut. In Wirklichkeit geht es Ramsauer, der inzwischen nicht mehr von Merz geführten Unionsfraktion und „Bild“ um etwas anderes: Sie alle haben Rot-Grün als politisches Ziel auserkoren, ein Ziel, das mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln getroffen werden muss. Und weil Wolfgang Thierse in der Tat oft etwas wenig Bundestagspräsident und etwas viel Stellvertretender SPD-Vorsitzender ist, musste er automatisch mit ins Visier genommen werden.

Dass das ohnedies zur Zeit nicht sehr frostfreie deutsch-französische Verhältnis quasi als Kollateralschaden dabei schwere Treffer erhält, kümmert bei „Bild“ und in der Union offensichtlich niemanden. Oder kommt doch noch, nicht in Hamburg, Vernunft auf? Angela Merkel ist am Wochenende in Paris – beruflich, nicht zum Vergnügen.

Gerd Appenzeller

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