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Berlin-Wahl 2011: Renate Künast - die Alternative

Die Spitzenkandidatur Renate Künasts zeigt, welch weiten Weg die Grünen gegangen sind, vor allem in Berlin. Wenn die Grünen mit Siegchancen in die Wahl 2011 gehen, dann auch deswegen, weil sich die Partei verändert und zugleich Berlin sich gewandelt hat. Ein Kommentar.

Jetzt ist alles klar: Der Wahlkampf in der Hauptstadt hat begonnen. Berlin soll nicht mehr arm, aber sexy sein, sondern ein Ort des Aufbruchs, der alle Menschen mitnimmt und allen eine Chance bietet – das ist die Botschaft der Spitzenkandidatin Renate Künast, ihre Kampfansage an eine ideenlos und abgenutzt wirkende rot-rote Koalition. Doch die harte Arbeit beginnt erst. Jetzt muss die Spitzenkandidatin die Erwartungen erfüllen und den Spannungsbogen bis zur noch fernen Wahl im Herbst 2011 aufrechterhalten.

Waren die Grünen nicht mal die Partei, in der nichts mehr verpönt war als Personenkult? Lange her. Schon erstaunlich, wie Renate Künast sich selbst zur Spitzenkandidatin für die Wahl in Berlin erklärt, ohne jede Beteiligung der Parteigremien – und die sonst so aufmüpfige Basis jubelt. Das zeigt, welch weiten Weg die Grünen gegangen sind; vor allem in Berlin, wo die einstige Alternative Liste sich immer mühte, der linkeste Landesverband zu sein. Wenn die Grünen mit Siegchancen in die Wahl 2011 gehen, dann auch deswegen, weil sich die Partei verändert und zugleich Berlin sich gewandelt hat.

Wie lang der Weg war, weiß Künast am besten. Vor 20 Jahren hat die damalige Fraktionschefin die erste rot-grüne Koalition in Berlin scheitern lassen, getrieben von gewalttätigen Autonomen, als die Mainzer Straße brannte nach der Räumung der besetzten Häuser. Und wäre es nach der damaligen Alternativen Liste gegangen, gäbe es am Potsdamer Platz keine Hochhäuser, sondern ein Krötenbiotop. Die schmerzvollen Veränderungen der Grünen nach harten Debatten – vom Gewaltmonopol des Staats über den Kriegseinsatz im Kosovo bis zum Abschied von Multikulti-Illusionen – sind auch das Kapital der Herausforderin. Sie weiß um ihre eigenen Fehler, das macht sie glaubwürdig. Die historische Chance, erste grüne Ministerpräsidentin zu werden, aber eröffnet sich vor allem, weil die alten Frontstadtmilieus geschwunden und die Narben der Teilung verheilt sind, und zugleich hunderttausende Zuzügler mitgeholfen haben, die Stadt neu zu erfinden.

Das ist nicht gering zu schätzen: ein Wahlkampf, in dem politisch gestritten wird, in dem es um Ideen geht. Bessere Bildung, Arbeit, soziale Sicherheit und eine klimaverträgliche Stadt zu fordern, sind wenig überraschend; ausdrücklich mehr Industrie zu wünschen, gehört zu den neuen Grünen. Wahlentscheidend aber wird sein, ob sich die Armen, die Unternehmer, die jungen Familien, die ehemaligen Hausbesetzer und das neue Bürgertum in den Angeboten wiederfinden. In der Berlin-Kompetenz steht Künast dem Regierenden Bürgermeister nicht nach, aber vieles ist bloße Verheißung. Nur von „Green New Deal“ und ökologischer Wirtschaftspolitik zu reden, wird Wowereit der Konkurrentin nicht durchgehen lassen. Auch er will Berlin zur Hauptstadt der E-Mobility machen, mit 100 000 Elektroautos bis 2020. Und Wowereit kann auf einen Wirtschaftsaufschwung mit 120 000 neuen Jobs seit 2005 verweisen.

Wahlgeschenke gibt es nicht, sagt Künast. Ihre Botschaft ist eine Kultur des Dialogs, die das Misstrauen gegenüber der Politik und den Vertrauensverlust der Bürger gegenüber den Parteien ernst nimmt. Erklären aber muss sie, wie sie Schulden abbauen, Bildungsangebote verbessern oder Straßen sauberer machen will – und wie das zu bezahlen ist. Ohne die Ehrlichkeit, zu sagen, was sich die Stadt leisten kann und was nicht – etwa die angekündigte Wiederverbeamtung von Lehrern – wird die „Stadt für alle“ nur ein leeres Wahlkampfversprechen bleiben.

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