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Kopftuch im Klassenzimmer - ein Streit seit Jahrzehnten.

© dpa/Frank Rumpenhorst

Berliner Kopftuchverbot verfassungswidrig: Der Staat hat neutral zu sein – Menschen müssen es nicht

Berlin muss muslimische Frauen künftig ohne Rücksicht auf ihr Äußeres in den Schuldienst lassen. Das Grundgesetz erweist sich als klüger und weitsichtiger als die Politik.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Nun hat Berlin kurz vor dem 12. Februar noch ein schönes Wahlkampfthema bekommen: Wie halten wir es mit dem Kopftuch? Nachdem das Bundesverfassungsgericht eine Beschwerde der Schulverwaltung gegen ein Urteil des höchsten Arbeitsgerichts abgelehnt hat, dürften die Rechtsmittel ausgereizt sein. Zeit also, sich mit der Wirklichkeit zu befassen.

Die Lage ist diese: Das Neutralitätsgesetz, mit dem das Kopftuch im Schuldienst unterbunden werden sollte, ist nach den Vorgaben aus Karlsruhe auszulegen. Das bedeutet, dass ein Kopftuch ohne konkrete (!) Gefahr für den Schulfrieden und die staatliche Neutralität nicht verboten werden darf.

Diese Gefahren werden politisch herbeigeredet, wirklich gegeben hat es sie nie. Ein Gutachten, das die Bildungsverwaltung einst erstellen ließ, um solche Gefahren zu belegen, erschöpft sich in Klischees.

Entsprechend ist die Situation in anderen Bundesländern, wo muslimische Frauen dürfen, was ihnen in Berlin untersagt ist. Sie ist friedlich. In modernistischen Kreisen wird die hiesige Diskriminierung als Rassismus geschmäht, es dürfte aber vorwiegend eine Mischung aus Frauenfeindlichkeit und kulturellen Überfremdungsängsten sein. Als man das Neutralitätsgesetz erließ, war Feminismus noch kein Mainstream und Diversität ein Begriff aus der Wissenschaft.

So strikt, wie das Neutralitätsgesetz wirkt, war es übrigens nie. Es enthielt schon immer Ausnahmen für Berufsschulen und Auszubildende. Wenn das Kopftuch nun so gefährlich sein soll, kann es auch keine Ausnahmen geben, die Gefahren erlauben. Spätestens dieser Widerspruch – aufgezeigt im Urteil des Bundesarbeitsgerichts von 2020 – hätte die Politik zum Handeln bewegen können.

Selbstverständlich, der Staat hat neutral zu sein. Menschen müssen es nicht. Sie dürfen Religion zeigen und leben, auch in der Öffentlichkeit. Das ist ein Grundrecht, das auch Menschen zusteht, die in den Staatsdienst wollen. Sie müssen sich zurückhalten. Aber man kann sie nicht neutralisieren und sollte es auch nicht.

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