zum Hauptinhalt

Meinung: Berlins Finanzen: Berlin als reuiger Sünder

Dieser Knall hat die Stadt in ihren Grundfesten erschüttert. Aber überraschend kam er nicht.

Dieser Knall hat die Stadt in ihren Grundfesten erschüttert. Aber überraschend kam er nicht. Bereits am Sonntag hatte Finanzsenator Thilo Sarrazin in einem Interview mit dieser Zeitung angekündigt: Noch nicht alle Haushaltsrisiken, von denen er wisse, seien der Öffentlichkeit bekannt; das werde sich aber ändern.

Die Zahlen, mit denen Sarrazin am Dienstag den Senat konfrontierte, sind die Eckwerte einer schonungslosen Eröffnungsbilanz. Da wird nichts mehr schön gerechnet, keine Risikoverkleisterung betrieben. Kein Fehlverhalten bleibt unbenannt, und manches hören die Berliner in dieser Brutalität zum ersten Mal. Etwa dies: Die Stadt nimmt nicht zu wenig ein, sie gibt zu viel aus. Bislang hatte man sich ja gerne damit getröstet, dass die Verhältnisse leider so unveränderbar und deshalb so traurig beständig - und damit wieder tröstlich zuverlässig seien. Stimmt nicht, sagt Sarrazin, und schlägt damit allen die Argumente aus der Hand, die ihre Besitzstände für unberührbar erklären wollen.

Es mag historische Begründungen dafür geben, warum in Berlin die Sozialausgaben besonders hoch sind; auch dafür, dass Wohnungsbauförderung hier weit mehr Geld als anderswo verschlingt und die Polizeiausgaben pro Kopf der Bevölkerung 30 Prozent höher als in Hamburg liegen. Aber wer jede Fehlentwicklung aus der Geschichte heraus erklärt und unter Hinweis auf sie ein Umsteuern verweigert, gestaltet keine Politik, sondern bedient eine Klientel.

Manches an Sarrazins Zahlen mag auch dramatisiert sein. Wenn die Konjunktur anzieht, wachsen die Steuereinnahmen. Wenn die Nachfrage nach Grundstücken steigt, kann sich manche jetzt vorgesehene Wertberichtigung aus dubiosen Immobiliengeschäften der Bank als überflüssig erweisen. Und vielleicht bleiben dann auch die städtischen Entwicklungsgebiete nicht auf ewig ein Fass ohne Boden. Aber das ist zuviel vielleicht. Und vielleicht war in den vergangenen zehn Jahren leider oft das Zauberwort, mit dem die Fakten verbrämt wurden. Durch Sarrazins Horrorzahlen hat der Regierende Bürgermeister zunächst einmal den Rücken frei für Einschnitte bei den Ausgaben. Auch die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes werden sich kaum mehr auf alle ihnen in der Zeit der großen Koalition nachgeworfenen Zugeständnisse berufen können.

Das Schlimme am Ist-Zustand ist ja, dass die Realität von der Bevölkerung anders empfunden wird, als die Zahlen es aussagen. Berlin beschäftigt mehr Personal als andere Städte - aber ausgerechnet da, wo das Publikum den Behördenkontakt braucht, fehlt es daran. Wir bezahlen mehr Polizei - aber der Bürger würde sie gerne öfter auf der Straße sehen. Wir geben mehr Geld für Sport aus - aber viele Turnhallen und Schulsportstätten bieten ein Bild des Grauens. Die Kostenmieten im öffentlich geförderten Wohnungsbau sind drei mal so hoch wie die tatsächlich gezahlten - wer weiß denn heute noch, dass die West-Berliner Baumafia bis 1989 künstlich die Baupreise hochhalten konnte und dass dies bis heute die Staatsverschuldung in die Höhe treibt?

Wowereit und Sarrazin werden alles Geschick aufwenden müssen, die Sanierung des öffentlichen Haushaltes durchzusetzen, ohne die Menschen aus der Stadt zu treiben. Das wird schwer, sehr schwer: Natürlich müssen die Budget-Fehlentwicklungen beseitigt werden, die durch Berliner Verschulden entstanden - es sind leider die meisten. Vieles, was Berliner Politiker heute als teilungsbedingte Sonderlasten deklarieren, war nichts anderes als ein schamloses Ausknautschen der Bundeszuschüsse. Erst wenn die Stadt nachweist, dass sie ausreichende, eigene Anstrengungen zur Haushaltssanierung unternommen hat, kann sie mit einer geringen Aussicht auf Erfolg beim Bund um Hilfe bitten. Erst dann kann sie auch auf Entlastung bei den Hauptstadt bedingten Aufwendungen drängen. Das sind immerhin über 300 Millionen Euro im Jahr. Der Abbau nicht notwendiger Kosten darf die in weiten Bereichen immer noch verlotterte Stadt jedoch nicht so unattraktiv machen, dass niemand mehr in ihr wohnen möchte. Die rigorose Zusammenstreichung der ohnedies viel zu geringen investiven Ausgaben zeigt aber leider genau in diese falsche Richtung.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false