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Merkel und Erdogan.

© Reuters

Besuch des türkischen Ministerpräsidenten in Berlin: Merkel und Erdogan: Da hat sich was getan

Doppeltes Umdenken: Beim Besuch von Ministerpräsident Erdogan in Berlin ermutigt Angela Merkel die türkischen EU-Bestrebungen - und auch bei ihrem Gast kündigt sich ein überraschendes Umdenken an. Dabei hat die Türkei ihr Ziel, ein regionaler Stabilitätsfaktor im Mittleren Osten zu werden, nicht aufgegeben.

Das sind Worte! Die Bundeskanzlerin sichert dem türkischen Ministerpräsidenten „ehrliche“ Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union über eine Mitgliedschaft der Türkei zu. Die Türkei ihrerseits setzt sich eine Frist bis zum Jahr 2023 für einen EU-Beitritt. Da kündigt sich auf beiden Seiten ein überraschendes Umdenken an.

Angela Merkel spricht zwar nur aus, was seit Jahren offizielle Politik vieler Staaten der EU ist. Aber Europas einflussreichste Politikerin ist im nicht ganz unbedeutenden Nebenjob auch noch Vorsitzende der größten Regierungspartei, der CDU. Die steht einem EU- Beitritt der Türkei mehrheitlich eher reserviert gegenüber. Auch Merkel hat in der Vergangenheit immer wieder den mit vielen Vorbehalten behafteten Begriff einer „privilegierten Partnerschaft“ gebraucht. Das jedoch ist nichts anderes als eine wenig elegant umschriebene Ablehnung einer vollen EU-Mitgliedschaft der Türkei. Nun signalisiert die Kanzlerin ihrem Gast offenbar, dass der Beitritt seines Landes nicht länger an einer deutschen Hinhaltetaktik scheitern wird.

Die Türkei ihrerseits stellt mit der von Erdogan genannten Jahreszahl 2023 weniger der Europäischen Union als sich selbst ein Ultimatum. Der Ministerpräsident will bis zum 100. Jubiläum der Republikgründung durch Kemal Atatürk sein Land nach eigenen Worten grundlegend modernisieren. Dazu zwingt ihn nicht nur der Kriterienkatalog der EU für erfolgreiche Beitrittsgespräche, sondern auch die ökonomische Dynamik seiner Heimat. Die Wachstumsraten der türkischen Wirtschaft haben chinesische Ausmaße. Die Entwicklung der Institutionen hin zu mehr Demokratie und Partizipation muss damit Schritt halten, das fordern die Menschen in den Ballungsräumen der Türkei.

Die neuerliche Hinwendung nach Europa ist auch Zeichen eines Umdenkens. Die Türkei hat ihr ehrgeiziges Ziel, ein regionaler Macht- und Stabilitätsfaktor im Mittleren Osten werden zu wollen, nicht aufgegeben. Sie hat aber durch die Syrienkrise und die provozierte Verschlechterung der Beziehungen zu Israel gelernt, dass sie alleine ohne Rückkoppelung nach Europa außenpolitisch zu schwach ist. Nichts belegt diese Sinneswandlung besser als Erdogans gewandelte Einstellung zur Rolle der türkischstämmigen Minderheit. Im Februar 2010 nannte er in seiner Kölner Rede Assimilation – die von den in Deutschland lebenden Türken gar nicht verlangt wurde – ein Verbrechen und lobte, dass seine Landsleute noch nach Jahrzehnten Türkisch sprechen. Nun forderte er die zweieinhalb Millionen türkischstämmigen Bürger, von denen die Hälfte die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hat, auf, Deutsch zu lernen und sich zu integrieren.

Das genau ist wohl auch die Botschaft, die ihm von seinen Landsleuten vermittelt wurde. Die sehen sich in ihrer ganz großen Mehrheit als Brückenbauer zwischen beiden Kulturen und wollen ihr Leben hier mit gleichen Chancen und Pflichten führen, ohne dabei ihre Wurzeln verleugnen zu müssen.

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