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Meinung: Big Bürger is watching you

Der Datenschutz kämpft heute weniger mit dem Staat als gegen unsere Leichtfertigkeit

Der Staat, dieses Monster. Sammelt Daten, rastert, scannt und screent, dass vom Bürger nur ein Strichcode übrig bleibt. So dachte man, als die Volkszählung anstand. Und begehrte auf. So heftig, dass Deutschlands höchstes Gericht ein neues Grundrecht auf „informationelle Selbstbestimmung“ erfand und Datensicherung zum hoheitlich-heiligen Schutzamt erklärte. Das ist fast 20 Jahre her. Am Mittwoch hat der Datenschutzbeauftragte seinen jüngsten Bericht vorgestellt. Er hat jetzt ein ganz anderes Problem. Er kämpft nicht mehr mit dem Staat – sondern gegen die Leichtfertigkeit der Bürger.

Das hat vor allem zwei Ursachen. Mit der neuen Technik in den Händen ist auch ein neues Denken in die Köpfe eingezogen. Das private Telefonat etwa, von Paragrafen gehegt und vor Neugier geschützt, findet dank Handy heute oft in der Öffentlichkeit statt. Welche persönlichen Spuren man gedankenlos im Internet verstreut, können nicht nur Staatsanwälte verfolgen, und man hilft der Polizei gerne mit einer freiwilligen Speichelprobe aus, wenn es doch nur hilft, einen Kindermörder zu kriegen.

Die zweite Ursache für den Bewusstseinswandel ist Angst. Was sind persönliche Daten in Zeiten globalen Terrors? Nichts. Man tauscht sie gerne ein gegen alles, was mehr Kontrolle verspricht. So entstanden die Anti-Terror-Gesetze. Nicht mehr vom Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist jetzt die Rede, sondern von einem Grundrecht auf Sicherheit.

Die Bürger vertrauen ihrem Staat. Das allerdings ist ein Problem. Denn der Staat vertraut seinen Bürgern nicht. Er sammelt, rastert, scannt und screent wie nie. Beispiel Telefonüberwachung: Hier hat sich die Zahl der Lauschaktionen in den letzten sieben Jahren verfünffacht. Beispiel Gen-Datenbanken: Das Bundeskriminalamt hat schon über eine Viertelmillion Bürger archiviert. Und die Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen gehört ohnehin zum Alltag. Dabei ist es nicht nur der Staat, der Freude an Datenmassen hat. Auch Private sammeln, etwa Unternehmen, um immer schärfere Profile ihrer Kunden zu zeichnen: Big Bürger is watching you.

Diese Toleranz ist gefährlich. Nicht jetzt, nicht heute. Aber sie darf nicht zum Fundament des künftigen Umgangs mit persönlichen Daten werden. Denn niemand kennt die Risiken wirklich, die beispielsweise in der Aus- und Verwertung von DNA-Angaben liegen. Gerade jetzt, in Zeiten neuer technischer Machbarkeit und erleichterten Datentransfers, ist Vorsicht nötig – im Zweifel für den Datenschutz, nicht gegen ihn.

Das hindert die Politik nicht, Einschränkungen zu diskutieren. So kann es sinnvoll sein, zur wirksamen Verbrechensbekämpfung die DNA von noch mehr Straftätern zu speichern, wie es in SPD und CDU vorgeschlagen wird. Soll immer ein Richter darüber wachen müssen? Die Lauschaktionen zeigen: Die Richter machen eifrig mit, wenn sie sich zur Strafverfolgung berufen fühlen. Also müssen solche sensiblen Eingriffe besonders streng und ausdrücklich im Gesetz geregelt sein: Wann unter welchen Voraussetzungen Daten erhoben werden, wie mit ihnen zu verfahren ist und wann die Behörden sie wieder löschen müssen. Solche Gesetze kommen nicht ohne Druck in die Welt. Datenschutz ist eine Angelegenheit jedes einzelnen Bürgers. Wir sollten uns um ihn kümmern.

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