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Ein weises Tier.

© dpa

Digitale Revolution: Big Data als Verheißung

Mächtige und dreiste Datensammler züchten sich ferngesteuerte Konsumsklaven heran: So schimpfen Kritiker über Big Data. Aber es gibt auch eine andere Wahrheit: Wissen macht klug, mehr wissen macht klüger. Und vielleicht humaner. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Es war einmal eine Zeit, da träumten Menschen von einer besseren Welt. Heute albträumen sie von der Apokalypse. Prophezeiungen, die von Katastrophen künden, haben Konjunktur. Das fängt beim Klima an, streift den neuen Kalten Krieg und hört bei der digitalen Revolution nicht auf. Und wer an den Spott Karl Poppers über derart „orakelnde Philosophie“ erinnert, gilt als naiv.
Dunkle Ahnungen sind attraktiv. Das liegt auch daran, dass Unheil, Ungemach und Unglück faszinierender sind als ihr Gegenteil. Ein Roman über eine tragische Liebe kann große Literatur sein, ein Manuskript über eine glückliche Liebe sollte bei Bastei-Lübbe eingereicht werden. Das Gute ist langweilig, das Böse schaurig- schön. Wenn Urlaubsheimkehrer Bilder von ihrer Strandidylle zeigen, schläft jeder ein. Wenn sie vom Chaos am Flughafen, dem gestohlenen Portemonnaie und der Autopanne im Regen berichten, lauscht das Publikum andächtig.
Kein Wunder also, dass auch die „Big-Data“-Welt leidenschaftlich auf Risiken und Nebenwirkungen abgeklopft wird, begleitet von Mahnungen, Warnungen und Zukunftstristesse. Was da auf uns zukommt! Dreiste Datensammler züchten sich ferngesteuerte Konsumsklaven heran. Privatheit wird ermordet, Algorithmen üben die Herrschaft aus. Kann sein, dass es so kommt. Aber gehört nicht zu jedem Fluch ein Segen?

Wie, wo und wann starten Bandenkriege?

Doch das Segensreiche an Big Data hat es derzeit noch schwer, gehört zu werden. Dabei ist manches offensichtlich. Wer etwa in seinem Auto über ein GPS-Gerät verfügt, vermeidet Staus und gelangt schneller ans Ziel. Das spart Zeit und Sprit und schont die Umwelt. Zunehmend erfolgreich ist auch der Einsatz von Big Data bei der Verfolgung grenzüberschreitender Kriminalität. Wer benutzt welche Waffen und welche Munition? Wie, wo und wann starten Bandenkriege?
Je mehr Informationen, desto aufschlussreicher das Gesamtbild. Das Versprechen von Big Data heißt: Wissen macht klug, mehr wissen macht klüger. Dem halten Kritiker entgegen, dass sich erst mit der richtigen Lesetechnik aus der Fülle der verfügbaren Daten ein Erkenntnisgewinn destillieren lässt. Das stimmt, ist aber banal. Auch in der „Small-Data“-Welt müssen Informationen richtig geordnet und in Beziehung gesetzt werden. Wenn im Frühsommer die Störche zurückkommen und gleichzeitig mehr Kinder geboren werden, lässt sich daraus keine Kausalität ableiten. Interpretationsfehler geschehen mit Small Data wie mit Big Data. Die Kunst besteht in beiden Fällen darin, Fehler zu minimieren.
An der Harvard-Universität sind eine Reihe von Projekten ins Leben gerufen worden, in denen erforscht wird, ob und wie sich mit dem Einsatz von Big Data soziale Probleme bekämpfen lassen. Lebensmittelknappheit in Uganda etwa: Wer die Entwicklung von Preisen, Trockenheitsperioden und Wanderungsbewegungen besser überblickt und in Beziehung setzt, gelangt zu genaueren Vorhersagen, die eine frühzeitigere und wirksamere Hilfe ermöglichen. Oder die Dynamiken von Slums am Beispiel Nairobi: Ungefähr eine Milliarde Menschen leben weltweit in slumähnlichen Unterkünften. 85 Prozent aller Menschen wiederum — auch sehr viele sehr arme Menschen – verfügen über ein mobiles Telephon. Mit Hilfe der so genannten CDR-Daten (Call Data Records) lassen sich Fragen folgender Art beantworten: Wie viele Menschen aus welcher Slum-Region rufen wann den ärztlichen Notdienst an? Diese Informationen wiederum können in Beziehung gesetzt werden zu Informationen über Wetterverhältnisse, Ernährung, Strom- und Trinkwasserversorgung. Auf diese Weise können Missstände gezielt angegangen werden.

Big Data ermöglicht ein umfangreiches Verständnis hochkomplexer Systeme

Aktuell unterstützt das amerikanische IT-Unternehmen IBM die Regierung von Sierra Leone mit CDR-Informationen im Kampf gegen Ebola. Wo ist das Zentrum der Seuche? Wie schnell breitet sie sich aus? Dieser Zugang hat sich als akkurater erwiesen als die traditionelle Methode, bei der Volkszählungs- und Umfrageergebnisse extrapoliert und durch Krankenhausberichte ergänzt wurden.
Ob Verbrechens-, Armuts- oder Seuchenbekämpfung, die Erstellung von wirksamen Schul-Curricula oder die Berechnung von adäquaten Nahverkehrssystemen in Millionenmetropolen: Big Data ermöglicht ein umfangreiches Verständnis hochkomplexer Systeme. Es erlaubt via Algorithmen ein Inbeziehungsetzen vieler Komponenten eines Problems, die ihrerseits aus Milliarden Informationen bestehen. Wer das nicht auch als Verheißung begreift, hat sich in seine eigenen Albträume vernarrt.

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