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Bildung: Wer sind wir?

In Deutschland fehlt ein Konsens über Bildungsinhalte, den Finanzmittel, zusätzliche Lehrer und Exzellenzinitiativen nicht ersetzten können. Bildung wird mit Berufsbildung verwechselt.

Der Bildungsgipfel war ein Erfolg, denn künftig sollen zehn Prozent des Bruttosozialproduktes für die Bildung aufgewandt werden. Der Bildungsgipfel war ein Misserfolg, da die Finanzierung offen blieb und erst in einem Jahr entsprechende Vorschläge diskutiert und entschieden werden sollen. Nichts offenbart sichtbarer als dieser Streit, woran es in diesem Land wirklich fehlt: an einem Konsens über Bildungsinhalte. Denn noch so üppige Finanzmittel, zusätzliche Lehrer, Ganztagsschulen und Exzellenzinitiativen können nur dann etwas bewirken, wenn man über die Inhalte einig ist. Was ist ein gebildeter Mensch, und wie viel von was sollte wer wissen?

Mehr naturwissenschaftliche Bildung und technisch-praktisches Können, rufen Handwerk und Industrie, Wirtschaftskunde als Pflichtfach, fordern jene, die sich vor einem durchschlagenden Wahlerfolg der Linken fürchten, und mehr von allem der Rest. Wir wissen nicht mehr, wohin wir wollen, dafür versuchen wir, immer früher anzukommen. Dabei gerät das Humboldt'sche Bildungsideal des "Wo kommen wir her?" und "Wer sind wir?" immer mehr in den Hintergrund, denn Geschichte und Literatur sind nicht markteffizient, und ein Grundkurs in Wirtschaftstheorie erscheint angesichts der Finanzkrise vielen sinnvoller als das Wissen über Ottonen und Staufer. Schließlich gibt es ja das Fernsehen und die Guido Knopp'sche Event-Geschichte zwischen Heinrich IV., Stauffenberg und Albert Speer. Doch auch dabei bleibt die Frage des Wozu ausgespart.

In Venedig sah ich kürzlich eine deutsche Gymnasialklasse zwischen Markusdom und Dogenpalast um die Porphyrgruppe der Tetrarchen versammelt. Die Fragen des Lehrers nach der Bedeutung dieser Figuren und nach irgendwelchen Ereignissen venezianischer Geschichte vermochte keiner zu beantworten. Nun mögen die Symbole der Großmacht Venedig so exotisch und realitätsfremd erscheinen, dass man sie nicht mehr zu unserem Leben in Beziehung setzt, doch wissen wir, dass Gerhard Schröder von der Bedeutung der Siegessäule im Herzen Berlins nicht mehr wusste als diese Schüler über Venedig.

Bildung wird immer mehr mit Berufsbildung verwechselt, und die Schule soll möglichst viel, was dazu gebraucht wird, vermitteln. Doch der Mensch lebt nicht vom Brot allein. In Wahlen muss der Bürger darüber entscheiden, ob Deutschland am Hindukusch verteidigt werden soll, die Türkei zu Europa gehört und Georgien oder die Ukraine in die Nato aufgenommen werden sollen. Zur Beantwortung dieser Fragen ist die Geschichte Venedigs nicht uninteressant und die Kenntnis der Vergangenheit von Russland und der Türkei zwingend. Es waren die Griechen, die jene Menschen, die sich nicht an den öffentlichen Dingen beteiligten, "Idioten" nannten.

Bevor zusätzliche Lehrer ein- und neue Mittel bereitgestellt werden, sollte zuerst einmal die Frage nach dem Wozu Beantwortet werden. Es ist die Frage nach dem Menschenbild unserer Gesellschaft.

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