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Birma: Es geht um mehr als Religion

Die Unruhen in Birma zeigen: Längst nicht alle Militärs tragen den Reformkurs mit.

Es hätte so schön sein können in Birma: Die brutalen Generäle danken ab oder werden nette Männer, die friedliebende Freiheitskämpferin wird freigelassen und darf schon bald in einem sich rasant öffnenden Land auch die politischen Geschicke mit bestimmen. Doch nun bekommt das Bild vom buddhistisch geprägten Märchenland für reiselustige Touristen hässliche Risse: Muslime werden verfolgt, Moscheen brennen, schon zum wiederholten Mal. Viele fragen sich: Können Länder beim Übergang von Diktaturen nicht mit ihren Minderheiten umgehen? Der Irak wird genannt, auch Pakistan.

Allerdings: Was in Birma (ja, wir nennen es noch immer so, auch wenn das Land sich offiziell selbst Myanmar nennt – nicht zuletzt als Ausdruck noch immer vorhandener Skepsis über die Entwicklung), also, was in Birma für viele jetzt wie neu aufgetauchte Animositäten erscheint, sind sehr alte Konflikte, um deren Lösung sich vorher niemand gekümmert hat. Unterdrückung mit Gewalt ist kein Kümmern. So aber sah der Umgang mit Problemen vielerorts aus. Auch jetzt ist die Armee im Einsatz, sie soll die seit gut einer Woche nicht mehr weit von der Hafen- und Wirtschaftsmetropole Rangun tobenden Unruhen unter Kontrolle bringen, die bereits mindestens 40 Menschen das Leben gekostet haben.

Es war klar, dass die vielfältigen Probleme in Birma nicht damit verschwinden werden, dass sich die Generäle aus der ersten Reihe verabschieden. Das Land hat 135 Ethnien und vier Prozent der Bevölkerung sind Muslime. Doch bei der aktuellen Eskalation in der Mitte des Staates, wie bereits seit dem vergangenen Jahr im westlichen Rakhine-Staat, dient der Hinweis auf die Religion eher dem Verbrämen ganz anderer Motive.

Die Muslime im Westen des Landes, die im vergangenen Jahr Opfer blutiger Verfolgung wurden (180 Menschen starben, mehr als 100 000 flohen, viele leben nun in Lagern), gelten vielen Birmanen als illegale Einwanderer aus dem nördlich gelegenen heutigen Bangladesch. Die sogenannten Bengalen genießen meist keine Bürgerrechte. Ihr Status ist nicht geklärt, obwohl sie schon lange in Birma zu Hause sind. Viele sagen, sie seien schon vor den eigentlichen Birmanen dorthin gezogen.

Auch aus anderen Ländern der Region sind immer wieder Menschen verschiedener Religionen nach Birma gekommen, zum Teil im Gefolge der britischen Kolonialherren. Die sogenannten Fremden machten dann unter Umständen auch noch lukrative Geschäfte. Auch das schürt Neid, den Interessierte für ihre Zwecke nutzen können. Unter der Militärjunta gab es gezielte Ausweisungen, Proteste wurden nicht geduldet. Mancher Südasiate, der in Birma Geschäfte machte, hatte sich teils sehr findig die Gunst der Herrschenden und letztlich sein Überleben im Land durch nette Aufmerksamkeiten an die Generäle und ihre Familien gesichert, die für so etwas durchaus empfänglich waren.

Über diese Konflikte hinaus gibt es noch weitere Krisenherde in Birma, die nur selten ans Licht der globalen Nachrichtenöffentlichkeit dringen, wie etwa im Kachin-Staat im Norden an der chinesischen Grenze, wo Rebellen seit Jahrzehnten um die Unabhängigkeit kämpfen. Dort tobt ein Bürgerkrieg. Die Kommandeure der Armee haben sich allerdings nicht um die Order von Präsident Thein Sein für einen Waffenstillstand geschert.

Und nun hat UN-Berichterstatter Tomás Ojea Quintana nach einer Woche rassistischer Umtriebe, in deren Verlauf bisher rund 12 000 Menschen vertrieben wurden, beklagt, er habe Hinweise darauf, dass auch staatliche Stellen an der Gewalt gegen die Muslime beteiligt gewesen seien. Teilweise hätten Militär und Polizei einfach zugeschaut. Es sollen gezielt Provokateure aufgetaucht sein.

Präsident Thein Sein sagte in einer Ansprache „politischen Opportunisten“ und „religiösen Extremisten“ den Kampf an. Normalerweise billige er keine Gewalt zur Lösung von Problemen, er werde aber nicht zögern, Gewalt als letztes Mittel einzusetzen, um das Leben von Menschen und den Besitz der Allgemeinheit zu schützen.

Offenbar sitzt Thein Sein, den sogar Aung San Suu Kyi inzwischen lobt, noch immer nicht so fest im Sattel, wie sich viele das wünschen würden, sondern er muss sich weiterhin Opposition aus den eigenen Reihen erwehren. Er kämpft intern einen Machtkampf. Denn längst nicht alle Militärs tragen seinen international so gern gesehenen liberalen Kurs mit. Um einen Flächenbrand zu vermeiden, ist es nun umso dringender, dass sich Thein Sein wie auch Aung San Suu Kyi neben den Reformen um die politische Lösung dieser Konflikte kümmern. Sonst könnten die Hoffnungen auf mehr Freiheit trotz all der neuen Möglichkeiten bald wieder zunichte sein.

Richard Licht

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