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Meinung: Bloß nicht Gurken

Angela Merkel muss in Europa führen, aber keiner darf das merken – auch Sarkozy nicht

Frankreichs Präsident war zu Besuch. Doch bevor die Exegese beginnt, wer sich bei welcher Fußnote durchgesetzt hat, sollte an die Dimension erinnert werden. Europa muss eine der schwersten Krisen bewältigen, mit der der Kontinent seit der Einigung und Einführung der gemeinsamen Währung konfrontiert war. Ein Rezept dafür, wie die sogenannten PIIGS-Staaten – Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien – vor der Pleite zu retten sind, hat keiner. Denn wie viel Geld fehlt und geliehen oder gar investiert werden muss, weiß niemand. Die Europäische Union fährt auf Sicht.

Um so bemerkenswerter ist das hohe Maß an Übereinstimmung zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Kein Land soll den Euro-Raum verlassen. Jedes Land muss gerettet werden. Im konkreten Fall: Griechenland braucht ein neues Hilfsprogramm. Vor diesem Hintergrund sind die Divergenzen eher psychologischer als grundsätzlicher Art. Es geht um Modalitäten.

Je höher die Hilfssummen, desto lauter murren die Deutschen, weil sie sich als Zahlmeister der EU empfinden. Je lauter deren Gemurre, desto überzeugender muss die Bundesregierung den Eindruck vermitteln, dass nicht nur mit Steuergeldern alimentiert wird, sondern auch private Gläubiger zur Kasse gebeten werden. Das Gerechtigkeitsversprechen soll das Geizproblem beheben.

Anders geht es nicht, zumal das Europa-Pathos früherer Generationen – „ist unser Schicksal“, „Ausdruck deutscher Verantwortung“, „Stabilitäts- und Friedensgarant“ – nicht mehr verfängt. Deutsche Europapolitiker sind gezwungen, pur pragmatisch zu argumentieren. Alles andere wäre Angela Merkel ohnehin wesensfremd.

Darüber hinaus steht die Kanzlerin vor einem doppelten Dilemma. Im Unterschied zu früheren europäischen Traumpaaren – Helmut Schmidt-Valéry Giscard d’Estaing, Helmut Kohl-François Mitterrand – hat Merkel in Nicolas Sarkozy keinen echten Partner. Politische Seelenverwandtschaft ist ihr suspekt. Und Sarkozys Temperament, seine Launen und Taktiken stehen der Bildung eines deutsch-französischen Tandems sehr im Weg.

Merkels zweites Dilemma resultiert aus Deutschlands Macht. Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosenzahlen sind gering, die Zahl der Vollbeschäftigten ist auf einem Rekordhoch. So stark wie heute war Deutschland in Europa noch nie. Daraus erwächst, etwa in den USA, die Erwartung, Deutschland müsse eine Führungsrolle in Europa übernehmen. Doch das kann die Bundesregierung nicht. Wie schnell sich antideutsche Ressentiments aktivieren lassen, wurde zuletzt durch die etwas voreiligen Ehec-Gurken-Warnungen bewiesen. Deutsches Selbstbewusstsein ruft in Europa allzu schnell antideutsches Misstrauen hervor.

Daraus folgt: Merkel muss zwar führen, darf dies aber niemanden spüren lassen. Sie muss lavieren und Strippen ziehen, jede Form von Theatralik aber vermeiden.

Und damit zurück zur Fußnotenexegese. Ob die Beteiligung privater Gläubiger nun auf freiwilliger Basis erfolgt und welche Gläubiger genau gemeint sind – sich darüber den Kopf zu zerbrechen, ist Luxus. Merkel und Sarkozy ziehen demonstrativ an einem Strang. Allein das zählt vor der Geschichte.

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