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Meinung: Böse Zunge an der Waage

Von Sabine Heimgärtner Nur sechs Wochen nach den Präsidentschaftswahlen beginnt in Frankreich die entscheidende Wahlschlacht. Die ebenfalls in zwei Runden stattfindenden Parlamentswahlen werden als historisches Ereignis in die Geschichte des Landes eingehen, denn es geht um viel mehr als „nur“ um Zusammensetzung der französischen Nationalversammlung.

Von Sabine Heimgärtner

Nur sechs Wochen nach den Präsidentschaftswahlen beginnt in Frankreich die entscheidende Wahlschlacht. Die ebenfalls in zwei Runden stattfindenden Parlamentswahlen werden als historisches Ereignis in die Geschichte des Landes eingehen, denn es geht um viel mehr als „nur“ um Zusammensetzung der französischen Nationalversammlung. Die zwei Hauptfragen: Wird die Übergangsregierung des bürgerlich-konservativen Lagers um den wiedergewählten Staatspräsidenten Chirac an der Macht bleiben? Wird der abrupte Machtwechsel nach den Präsidentschaftswahlen zu Gunsten der Rechten also dauerhaft sein oder wird die nach dem Rücktritt des sozialistischen Premiers Jospin angeschlagene Linke ihre Revanche bekommen? Aber auch: Wird sich der Le-Pen-Schock vom 21. April wiederholen?

Angesichts jüngster Umfragen muss erneut damit gerechnet werden, dass der rechtsextreme Spuk eine Dauergröße ist. Die Demoskopen sagen der Le-Pen-Partei 15 Prozent voraus, was aber aufgrund des gültigen Mehrheitswahlrechts nicht bedeuten muss, dass sie in stattlicher Anzahl ins Parlament einziehen. Die Lepenisten können nur mit vier bis fünf Sitzen rechnen.

Der Schrecken, der von der Front National ausgeht, ist für die Konkurrenz jeglicher Couleur von anderer Art. Sollte sich Le Pens Ankündigung bewahrheiten, dass seine Partei in mehr als der Hälfte der Wahlkreise an der Stichwahl am 16. Juni teilnehmen wird, hätte die FN bereits beim ersten Wahlgang ihr Etappenziel erreicht: Als Zünglein an der Waage würde sie das Schicksal der bürgerlichen Kandidaten im zweiten Wahlgang beeinflussen. Die müssten um Le-Pen-Wähler werben. Ob das zu Gunsten der Rechten oder der Linken ausgeht, ist völlig offen.

Am wahrscheinlichsten ist ein Sieg der Sammlungsbewegung UMP rund um Chirac. Sie brächte zudem einen von fast allen Franzosen erwünschten Effekt, nämlich das Ende der in Frankreich zuletzt üblichen, aber verhassten Kohabitation, der Zwangsgemeinschaft eines Präsidenten und eines Regierungschefs unterschiedlicher Lager. Alles hat Chirac daran gesetzt, in den wenigen Wochen nach seinem gloriosen Sieg vorzuführen, wie gut er mit dem Premier als Team funktioniert. Mit Erfolg: Bei 60 Prozent der Franzosen ist Raffarin als Mann des Volkes beliebt. Ein weiterer Trumpf für die Rechten.

Vor allem aber die Sozialisten sind es, die, immer noch wundenleckend und inhaltlich wie personell deutlich geschwächt nicht locker lassen. Seit dem 5. Mai ist kein Tag vergangen, an dem die neue Regierung nicht als „scheinheilig“ attackiert wurde, und zu Recht verweist die ehemalige Linkskoalition unermüdlich darauf, dass schließlich sie es war, die mit ihrem Wahlaufruf gegen Rechtsextreme Chirac und seiner bürgerlichen Rechten zum Sieg verhalfen. „Rache ist süß“, lautet das Motto, und so hofft man, den Wähler zu überzeugen, der Linken jetzt zum „gerechten Sieg“ zu verhelfen. Nur, was scheren solche Rachebedürfnisse die Wähler? Also muss wieder mit einer hohen Enthaltung bei den beiden Wahlgängen gerechnet werden, auch die kurzfristige Begeisterung der Jugend für die Politik ist völlig verflogen.

Sollte die Linke trotz allem die Wahl gewinnen, könnte dies zu einem neuen Erdbeben in Frankreich führen. Betroffen wäre zunächst Chirac, der in seinem Amt dann drastisch geschwächt wäre und sich mit der Forderung der Sozialisten konfrontiert sähe, „aus Anstand" zurückzutreten. Oder Chirac kommt den Linken zuvor und löst das Parlament umgehend wieder auf, um Neuwahlen anzuordnen. Auf jeden Fall bedeutete ein linker Wahlsieg eine neue Kohabitation und die halten die meisten französischen Verfassungsrechtler für eine Katastrophe, ja sogar für das Ende der 1958 von General Charles de Gaulle gegründeten V. Republik. Wie gesagt, es wird eine historische Wahl.

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