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Buchmesse: Das Jahr der Freiheit

In Peking überrollten Panzer die Demonstranten auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Zwanzig Jahre danach präsentiert die Frankfurter Buchmesse China als ihr Gastland. Eine kaum lösbare Aufgabe.

Es war eine Weltenwende. 1989 – die Magie dieser Jahreszahl entfaltet sich erst in der historischen Distanz. Und damit rücken die bis heute wirkenden Ereignisse des annus mirabilis gleichzeitig auch wieder näher. Vor zwanzig Jahren fiel die Mauer, in Berlin, fast überall in Ostmitteleuropa. Der rumänische Diktator Ceausescu wurde hingerichtet, der oppositionelle Schriftsteller Vaclav Havel zum Präsidenten der Tschechoslowakei gewählt. Die Sowjetunion zog aus Afghanistan ab.

In Peking überrollten Panzer die Demonstranten auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Zwanzig Jahre danach präsentiert die Frankfurter Buchmesse China als ihr Gastland. Eine kaum lösbare Aufgabe. Diplomatisch hofiert wird ein Regime, das mit der westlichen Auffassung von Freiheit wenig im Sinn hat. Von jener Freiheit der Meinung, der Kunst und Literatur, die sich vor zwei Jahrzehnten mit dem Verschwinden des Eisernen Vorhangs wider Erwarten unblutig manifestierte. Doch wie viele Mauern und Barrieren sind seither wieder errichtet worden; die Schriftsteller und ihre Werke künden davon. Die Buchmesse setzt auf – wenn auch gebremste – Kommunikation, auf den Austausch von Gedanken und Erinnerungen, auf das Gespräch mit chinesischen Autoren, aus dem Mutterland wie dem Exil. Wie stark vermint das Gelände ist, hat sich in der Vorbereitung des weltgrößten Medienbasars gezeigt. Die Freiheit der Rede taugt nicht zum Feilschen.

China auf der Buchmesse, da sei an Bertolt Brechts „Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration“ erinnert. Laotse, der alte weise Mann, ist in seinem Land nicht mehr gelitten. Er geht mit leeren Händen und vollem Herzen. An einer Zollstation wird er aufgehalten und aufgefordert, sein Wissen und seine Weisheit niederzuschreiben. Das Brecht- Gedicht, 1938 im Exil entstanden, enthält die berühmte Wendung: „Dass das weiche Wasser in Bewegung / Mit der Zeit den harten Stein besiegt. / Du verstehst, das Harte unterliegt.“ Dass eine Messe der Bücher zur Einkehr anhält, das darf man hoffen.

Die Vergabe des Literaturnobelpreises an Herta Müller hat den Fokus des Frankfurter Jahrmarkts der Eitel- und Befindlichkeiten schlagartig verändert. Stockholm rettet den Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Der vergibt zwar zur Messezeit seinen Friedenspreis, hat es aber versäumt, anno 2009 die Umstürze des Jahres 1989 zu würdigen. Jetzt schließt sich der Kreis. Über China wird man nicht reden können, ohne an die grausame Geschichte osteuropäischer Diktaturen zu erinnen. Herta Müllers rumänische Passion, gespiegelt im Schicksal chinesischer Autorinnen und Autoren. So klein ist die Welt schon geworden, dank großer Weltliteratur.

Totalitäre Regierungen verbitten sich die Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten, in Iran cum grano salis nicht anders als in China. In der Literatur, die ihren Namen verdient, kann es keinen Unterschied geben zwischen inneren und äußeren Angelegenheiten. Alles andere ist Zensur. Oder Selbstzensur.

Weniger auffällig diskutiert man dieses Jahr über die digitalen Umwälzungen der Bücherwelt. E-Books und Internetbibliotheken haben ihren Schrecken verloren, Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks bleibt so einzigartig und unübertroffen wie das Rad. Am Anfang und am Ende steht das Wort. Der Gedanke. Jenes kostbare und nicht zu verzollende Hab und Gut, das Laotse auf seiner langen, beschwerlichen Reise bei sich trägt.

Rüdiger Schaper

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