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Ruckelt an Gewissheiten: Joachim Gauck.

© dapd

Bundespräsident: Joachim Gauck will zuviel auf einmal

An einen politischen Bundespräsidenten müssen sich die Deutschen erst wieder gewöhnen. Und der Präsident sich an die Deutschen. Im Moment sagt Joachim Gauck viel Bedenkenswertes - aber zu viel in zu kurzer Zeit.

Wir hatten es fast vergessen: Deutsche Staatsoberhäupter können eminent politische Köpfe sein. Joachim Gauck ruft es uns wieder in Erinnerung, fast schon im Wochentakt.

In der Reibung zwischen dem, was eigentlich nicht sein soll – der Bundespräsident als eigenständige politisch handelnde Instanz – und dem, was manchmal ist, liegen Reiz und Gefahr. Der Reiz besteht in der Chance des Staatsoberhauptes, durch wohl erwogene, kleine Grenzüberschreitungen auf Defizite oder problematische Entwicklungen in der offiziellen Politik hinzuweisen. Die Gefahr liegt in der Verunsicherung der deutschen und der internationalen Öffentlichkeit. Was gilt eigentlich nun – was aus dem Kanzleramt kommt oder was der Präsident uns sagt, und was will er damit bewirken? Gustav Heinemann war so ein Unangepasster, dessen Eigenwilligkeit in Erinnerung bleibt, Richard von Weizsäcker natürlich in seiner Distanz zu Helmut Kohl, und der frühe Horst Köhler, als er seine Stimme immer wieder für Afrika erhob. Jetzt haben wir an der Spitze des Landes erneut einen, der nicht nur Staatsnotar sein will.

Sehen Sie in der Bildergalerie: Geteiltes Echo auf Gaucks Islam-Äußerungen

Man merkt Joachim Gauck an, dass er aus einer mehr Berufung als Beruf verkörpernden öffentlichen Tätigkeit kommt, in der jeden Sonntag von ihm Wegweisung erwartet wurde. Wer ihn nicht erst seit der Wahl zum Nachfolger Christian Wulffs beobachtet, weiß schon länger, dass er die Macht des wirkungsvoll vorgetragenen Wortes, seiner Worte, genießt. Aber da die Rede des Präsidenten seine einzige Waffe ist, muss man fragen, wie oft Gauck dieses Instrument einzusetzen gedenkt. Noch liegen ja fast fünf volle Amtsjahre vor ihm. Dabei ist die Sorge um verbale Fehltritte gering. Wo immer er auftrat, gewann er seine Zuhörer, emotional und intellektuell. Aber da er auf bekannten Wegen gerne mit neuen Worten wandelt, verändert er deren Richtungen.

Eine Kurzbiographie in Bildern:

In Israel benutzte er das Kanzlerin-Wort vom Existenzrecht Israels als Teil der deutschen Staatsräson wohlüberlegt nicht und legte damit bewusst eine Distanz zur Regierungschefin, ohne dass irgendein Beobachter an seinem Eintreten für den jüdischen Staat Zweifel haben dürfte. Abstand zu Amtsvorgänger Christian Wulff wahrte er, als er nicht den Islam, sondern die hier lebenden Muslime als Teil Deutschlands verstanden wissen wollte. Zu große Subventionen in alternative Energien zur Absicherung der Energiewende empfindet er als Planwirtschaft.

Die lehnt der gelernte DDR-Bürger natürlich ab und frustriert mit dem Begriff die Umweltschützer. Beim Besuch der Führungsakademie der Bundeswehr lobte er die Soldaten als „Mutbürger in Uniform“ und die Bundeswehr selbst als „Friedensmotor“, nennt die vor deutschen Gefallenen ihre Augen verschließende Gesellschaft „glückssüchtig“ – und muss sich den Vorwurf gefallen lassen, er denke interventionistisch.

Jedes Thema wäre eine lange Debatte wert gewesen. Innerhalb weniger Wochen gehäuft, wird keines mit der nötigen Ernsthaftigkeit beleuchtet und durchdrungen. Nur die Fragezeichen, die bleiben.

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