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Meinung: Bushs gerechter Krieg: Wo Europa nicht mehr folgen kann

Der Schock über den 11. September ist kaum überwunden und Erleichterung über den glimpflichen Ausgang des amerikanischen Gegenschlags eingekehrt - da schreckt eine neue Bedrohung Europa auf.

Der Schock über den 11. September ist kaum überwunden und Erleichterung über den glimpflichen Ausgang des amerikanischen Gegenschlags eingekehrt - da schreckt eine neue Bedrohung Europa auf. Es wächst die Kluft zu den USA. Amerika möchte dem Triumph in Afghanistan rasch einen zweiten folgen lassen: gegen Iraks Diktator Saddam Hussein. Doch diesmal ist Europa nicht zu uneingeschränkter Solidarität bereit. Dahinter stecken nicht etwa Zweifel, ob die USA gegen Saddam einen ähnlich ungefährdeten Sieg wie in Afghanistan erringen können. Es geht um Schwererwiegendes als Erfolg, um fundamentale weltanschauliche Fragen: den Wert des Rechts, die Legitimation von Gewalt, um die Weltordnung. Das ist auch die tiefere Ursache, warum der Brief amerikanischer Intellektueller über den "gerechten Krieg" viele Menschen hier zu Lande so sehr bewegt - und in Zweifel stürzt. In ihm werden die Grenzen der Moral, der Religion, des staatlichen Handelns ausgelotet. Er setzt hohe ethische Standards: so hohe, dass der Verstand es kaum wagt, einen Krieg, der diese Kriterien erfüllt, zu verurteilen.

Zum Thema Dokumentation: Kampf gegen Terror Fotos: Osama Bin Laden, Krieg in Afghanistan Und doch sträubt sich das Gefühl gegen die Vorstellung, Krieg könne eine gerechte Sache sein. Auch, weil die Erfahrung lehrt, dass glasklare Theorien meist einen Teil der widersprüchlichen Wirklichkeit ausblenden. Schon wahr, manche Kriege der jüngsten Zeit haben die Welt ein kleines Stück gerechter gemacht: der Golfkrieg zur Befreiung Kuwaits; die Nato-Intervention im Kosovo, die die Vertreibung der Albaner stoppte; der Feldzug, der die Afghanen vom Taliban-Regime befreite. Unrecht wurde korrigiert. Bei den Angriffen wurden jedoch auch viele Unbeteiligte getötet. Militärisches Eingreifen mag manchmal der letzte Ausweg zur Rettung Wehrloser sein. Aber selbst ein solcher Krieg hat von vornherein seine Unschuld verloren, weil ihm immer ein Versagen der Politik und der Rechtsordnung vorausgeht. Zudem bringt er neues Unrecht mit sich. Deshalb ist jede moralische Überhöhung zum gerechten Krieg fragwürdig.

Zweifel weckt aber auch die instrumentale Einstellung Amerikas zum Völkerrecht: Man dürfe es schon mal umgehen oder sogar brechen, wenn damit nur am Ende ein gerechtes Ziel erreicht werde. Im Kosovokrieg hatten die Europäer gewisse Skrupel, weil die letzte Autorisierung durch den UN-Sicherheitsrat fehlte, die Amerikaner nicht. Im Zweifel werden sie Irak im Alleingang angreifen, wenn sie Saddam nur so zuverlässig daran hindern können, Massenvernichtungswaffen herzustellen, die eines Tages Amerikaner töten. Die UN haben mit ihrem Sanktionsregime versagt, warum sollen die USA sich ihnen unterordnen?

Für die meisten Europäer kann der gerechte Zweck den Rechtsbruch nicht heiligen. Und, setzen die USA nicht gerade die Werte aufs Spiel, die sie zu verteidigen vorgeben, wenn sie den Irak im Namen einer allgemeingültigen Rechtsordnung angreifen und dabei bewusst den vom Völkerrecht gebotenen Weg über die UN umgehen? Die Legitimität des Afghanistan-Kriegs hat Europa intuitiv verstanden, auch ohne Rechtfertigungstheorie. Amerika war angegriffen worden, hatte das Recht zur Selbstverteidigung und das Recht, eine Wiederholung zu verhindern, indem es das terroristische Netzwerk zerstört.

Hat Amerika dann nicht auch das Recht zum Präventivschlag gegen Saddams Waffenfabriken? Da haben die Europäer verständliche Skrupel. Erstens hat sich der Blick auf Afghanistan mit dem zeitlichen Abstand verändert. Haben wir nicht alle die Bedrohung unter dem Schock der Anschläge größer gemacht, als sie tatsächlich war? Gewiss, damals konnte man nicht wissen, ob Attentate auf weitere Großstädte folgen würden.

Aber es ist eine Mahnung, genau hinzusehen, ob die Gefahr durch Saddam Hussein nicht übertrieben wird, um den Krieg vorzubereiten. Zweitens kann das Versagen der UN-Rüstungskontrolle in der Vergangenheit allein noch keinen Angriff rechtfertigen. Auch jetzt muss zunächst der Rechtsweg über die Vereinten Nationen beschritten werden. Wenn der sichtbar scheitert, werden die Europäer verstehen, warum gegen Saddam Hussein nur Waffen helfen. Wenn Amerika es jedoch erst gar nicht versuchen will, kann Europa nicht folgen. Da helfen auch keine moralischen Appelle.

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