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In der BVV Friedrichshain-Kreuzberg kommt es immer wieder zu Störungen.

© dpa

BVV Friedrichshain-Kreuzberg: Was passiert, wenn nur noch das Recht des Stärkeren gilt?

Dass aggressive Störer die BVV Friedrichshain-Kreuzberg sprengen konnten, lag am Unwillen dieses Parlaments, die Polizei zu rufen. Das könnte sich bei Störern herumsprechen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Harald Martenstein

Wieder einmal wird in Berlin Geschichte geschrieben. In Friedrichshain-Kreuzberg konnte das Bezirksparlament nicht tagen. Zur Sitzung waren in großer Zahl sehr aggressive Personen erschienen, denen dieses Parlament missfällt. Sie stört unter anderem, dass sich der grüne Stadtrat Hans Panhoff bei der Besetzung der Gerhart-Hauptmann-Schule durch Flüchtlinge einige Male an die Gesetze gehalten hat.

Die Besucher schrien und beschimpften die Politiker, bis die Sitzung abgebrochen werden musste. Dass ein Parlament auseinandergejagt wird und sich das gefallen lässt, ist in der Bundesrepublik noch nicht vorgekommen. Etwas immerhin Ähnliches ist 1848 in Preußen passiert, als der preußische König die Nationalversammlung verscheuchte, weil sie ihm zu links war.

Die Sitzung wurde abgebrochen, weil eine Mehrheit des Bezirksparlaments sich nicht dazu entschließen konnte, die Polizei zu rufen. Die BVV-Vorsitzende Kristine Jaath, grün, wird mit dem Satz zitiert: „Hätten wir die Polizei geholt, wäre die Situation eskaliert.“ Das ist sicher richtig. Es hätte noch mehr Zoff gegeben. Die Frage ist, ob Demokratie und Parlamentarismus es wert sind, dass man dafür in Deutschland Zoff riskiert. Zum Glück ist die Kreuzberger SPD dieser Ansicht. Deren Fraktionschef sagt: „Bei Störern spricht es sich herum, dass in Kreuzberg keine Gesetze gelten.“

Was passiert, wenn nur noch das Recht des Stärkeren gilt

Was wird passieren, wenn es keine Polizei mehr gibt, keine Gerichte, keine Gesetze, wenn dieser ganze staatliche Zwangs- und Regulierungsapparat einfach verschwindet? Dann wird eben das Recht der Stärkeren gelten. Die Brutalsten setzen sich durch. Clanchefs, Häuptlinge und Mafiosi werden regieren. Damit will ich nicht sagen, dass die Polizei immer unparteiisch ist und immer alles richtig macht, oder dass es keine Fehlurteile gibt. Aber noch der fehlerhafteste Rechtsstaat ist humaner als ein System, in dem die Machtfrage auf der Straße entschieden wird und in dem derjenige gewinnt, der am lautesten schreit oder am härtesten zuschlägt.

Das gilt auch für die Flüchtlingspolitik. Deutschland muss sich für mehr Flüchtlinge öffnen, das ist ein Gebot der Menschlichkeit, der Solidarität, des Christentums, wir müssen das aus hundert Gründen tun. Und es muss neue Kriterien geben für die Aufnahme, das politische Asylrecht genügt nicht mehr. Millionen fliehen vor der Ermordung und dem Hungertod, wir können nicht so tun, als ginge uns das nichts an. Aber es darf nicht sein, dass wir bevorzugt diejenigen aufnehmen, die am lautesten schreien, mit Holzlatten drohen und am entschlossensten unsere Gesetze brechen. Auch die Schwachen und die Leisen müssen eine Chance haben, vielleicht sogar eine größere als die Brutalen.

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