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Harald Martenstein: Christentum ist nichts für Feiglinge

Als Angela Merkel sagte, sie freue sich über den Tod des Verbrechers bin Laden, hat sie die am weitesten vom Christentum entfernte Position bezogen, die sich vorstellen lässt.

Was ist der Kern des Christentums? Ich glaube, es ist die Idee der Nächstenliebe. Man muss kein Christ sein, um zu erkennen, wie groß und wie utopisch dieser Gedanke ist: Liebe deinen Feind. Auch er ist Gottes Geschöpf. Wenn sie dir auf die linke Wange schlagen, dann schlage nicht zurück, sondern halte die rechte Wange hin. Wer schafft das schon? Man muss sich überwinden, Spott aushalten, wie Jesus, der sich nicht wehrte, als sie ihn ans Kreuz schlugen, und der für seine Mörder um Verzeihung bat. Christentum, ernst genommenes, ist nichts für Feiglinge.

Als Angela Merkel sagte, sie freue sich über den Tod des Verbrechers bin Laden, hat sie die am weitesten vom Christentum entfernte Position bezogen, die sich vorstellen lässt. Vielleicht war ihr das gar nicht bewusst, auch das wäre schlimm: eine Kanzlerin, die redet, ohne nachzudenken. Nun muss bei uns keiner Christ sein, ich selber bin es auch nicht. Aber das Bizarre ist, dass ausgerechnet Merkels Partei, die CDU, bei jeder Gelegenheit betont, dass unsere Kultur, unsere Leitkultur, eine christliche sei. Der Islam gehört nicht zu Deutschland – diese These kommt aus einer Partei, deren Vorsitzende, wenn es opportun ist, so ähnlich redet wie ein Krieger des Dschihad, des Heiligen Krieges.

Oh ja, liebe Kollegen Scharfmacher von der „Welt“ und anderswo, wir Deutschen sind Weicheier. Dabei spielt, neben den Nachwirkungen der Nazizeit, auch unser christliches Kulturerbe eine kleine Rolle. Töten, Kriege, Blutrache, davor schrecken viele zurück – verzeiht uns das, falls ihr könnt. Wir zwingen Angehörige anderer Religionen ja auch nicht dazu, Schweineschnitzel zu essen.

Zum Tod von bin Laden hat, wieder einmal, Helmut Schmidt das Richtige gesagt. Er sagt, er verstünde, was die Amerikaner getan haben, er kritisiere das nicht. Aber es sei und bleibe eine zwiespältige Sache. Er weiß, wovon er redet, er selber hat einmal einen ähnlichen Befehl gegeben wie jetzt Obama, damals in Mogadischu. Manchmal muss man Dinge tun, die man ablehnt, weil man keine andere Wahl hat. Manchmal bleibt nur die Wahl zwischen zwei Übeln. Lässt man einen Mörder weiter morden, riskiert man Erpressungsmanöver seiner Komplizen, oder tötet man ihn? Manchmal tut man das Richtige und Notwendige und hat Erfolg, ohne sich darüber freuen zu können. Ist dieser Gedanke wirklich zu kompliziert, um ihn zu begreifen?

Es gibt keine „christliche Politik“. Jesus’ Gedanke von der Feindesliebe ist wahrscheinlich zu radikal für das sogenannte Tagesgeschäft. Trotzdem sollte man erschrecken, wenigstens das, wenn der Finger sich am Abzug krümmt, und irgendwo in sich eine Stimme finden, die diesen besten Satz flüstert, der jemals gesagt wurde: Du sollst nicht töten.

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