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Meinung: „Dann geht man nicht mehr in die Knie“

Vor wenigen Monaten war der Name des Physikprofessors aus Grodno nur wenigen Weißrussen ein Begriff. Doch trotz des nahezu vollständigen Ausschlusses von den Medien ist es Alexander Milinkiewitsch gelungen, sich seinen Landsleuten als glaubwürdige Alternative zum autoritären Staatschef Alexander Lukaschenko zu präsentieren.

Vor wenigen Monaten war der Name des Physikprofessors aus Grodno nur wenigen Weißrussen ein Begriff. Doch trotz des nahezu vollständigen Ausschlusses von den Medien ist es Alexander Milinkiewitsch gelungen, sich seinen Landsleuten als glaubwürdige Alternative zum autoritären Staatschef Alexander Lukaschenko zu präsentieren. Weder durch die Verhaftung von Mitarbeitern noch durch verriegelte Versammlungssäle lässt sich der Mann mit dem silbernen Haarschopf aus der Ruhe bringen: Unablässig tingelt der 58-jährige Bürgerrechtler von Stadt zu Stadt, wirbt vor den Präsidentschaftswahlen beharrlich und entspannt für den demokratischen Wandel seines Landes.

Ein wenig überraschend hatten sich die wichtigsten Oppositionsparteien des Landes Anfang Oktober auf den parteilosen Akademiker als ihren gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten geeinigt. Doch die Kür des früheren Vizebürgermeisters der an der Grenze zu Polen liegenden Stadt Grodno zum Lukaschenko-Herausforderer hat sich als Glücksgriff erwiesen. Obwohl kein wortgewaltiger Volkstribun hat der umgängliche Kompromisse-Schmied der lange darniederliegenden und zersplitterten Opposition neues Leben eingehaucht und ihre gesellschaftliche Isolation durchbrochen.

Dank Forschungs- und Lehraufenthalten in Algerien, Deutschland, Frankreich und den USA verfügt der polyglotte Laserspezialist über die Auslandserfahrungen und Kontakte, die dem international isolierten Lukaschenko fehlen: Als erstem weißrussischen Oppositionellen öffneten sich ihm in Warschau, Straßburg oder Berlin Parlamentssäle und die Amtsstuben von Staats- und Regierungschefs.

Als Mann des Ausgleichs gilt der geruhsame Vollbartträger, den Lukaschenko als „Faschist“ schmäht. Die Unterstellung, dass er Weißrussland in die Nato führen wolle, dementiert Milinkiewitsch. Als neutrales Transitland könne Weißrussland die ideale Brücke zwischen Europa und Russland sein, zugleich macht sich der Lehrersohn aber für eine Öffnung des abgeschotteten Landes zu den Nachbarn im Westen stark.

Politische Erfahrungen sammelte der Enkel eines weißrussischen Freiheitskämpfers nicht nur als Chef der 2003 verbotenen Bürgerrechtsorganisation Ratusha. Vor fünf Jahren organisierte der Basketballfan als Wahlkampfmanager bereits den Wahlkampf eines oppositionellen Präsidentschaftskandidaten, bei den verfälschten Parlamentswahlen 2004 kandidierte er selbst vergeblich um einen Abgeordnetenmandat. Die Repressionsmethoden der weißrussischen Staatsmacht sind ihm vertraut, doch Furcht zeigt der zweifache Vater keine: „Wenn man die Angst einmal überwunden hat, geht man nicht mehr in die Knie.“

Thomas Roser

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