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Meinung: Darf Deutschland keinen eigenen Standpunkt zur Weltpolitik haben?

Zu „Schatten ihrer selbst" vom 29. Mai Das Thema ist zweifelsfrei einen Leitartikel wert.

Zu „Schatten ihrer selbst" vom 29. Mai

Das Thema ist zweifelsfrei einen Leitartikel wert. Kann sich denn aber die wichtigste Wirtschaftsmacht der EU wirklich keinen eigenen Standpunkt zu wichtigen Fragen der Weltpolitik leisten? Auch als zurzeit zweijähriges Mitglied des Weltsicherheitsrates der Vereinten Nationen nicht? Meiner Meinung nach nimmt Deutschland ganz zu Recht eben nicht automatisch, so wörtlich, die Rolle des „Nachplapperers“ ein, wenn es sich zum Beispiel nicht am militärischem Vorgehen der Nato gegen Libyen beteiligen will.Das kostet ja wie immer viele unschuldige zivile Opfer! Ist es vor diesem Hintergrund denn wirklich verkehrt, selbst wie in diesem Fall mit einem schrecklichem Despoten wie Umer Muammar al Gaddafi, den allermühsamsten Verhandlungsmarathon gehen zu wollen?Werner Petke, Berlin-Buckow

Im Kommentar zum G-8-Gipfel hatte der Tagesspiegel zu Recht die internationale Bedeutungslosigkeit Deutschlands beklagt. Ein Leserbrief stellte dies in Abrede und fand, Deutschland habe das Recht auf eine eigene Meinung. Das ist unbestritten, ja mehr noch, ein Land wie Deutschland hat die Pflicht, seine eigene Meinung zu haben, diese zu vertreten und zu versuchen, dafür internationale Unterstützung zu gewinnen. Doch genau darauf verzichtete Deutschland in den vergangenen Jahren mehr und mehr, ließ sich treiben, anstatt eine Führungsrolle in Europa zu übernehmen, eine Rolle, auf die viele unserer Nachbarn hoffen, weil ohne sie die Einigung Europas nicht vorankommen wird. Deutschland spielte eine Nebenrolle, als im letzten Jahr die neue Nato-Strategie entwickelt wurde, und woraus außer einem ängstlichen „wir beteiligen uns nicht“ und einem vorschnellen „ Gaddafi muss weg“ bestand der deutsche Beitrag in der aktuellen Libyenkrise? Bedenken geltend zu machen und darauf hinzuweisen, dass man jeden Einsatz militärischer Mittel, die stets das äußerste, nicht zwangsläufig aber das letzte Mittel der Politik sein müssen, immer vom Ende her denken muss, ist richtig, aber dann muss man auch mehr als Phrasen zur Lösung der Krise beitragen. Das ist der Punkt, an dem der Leserbrief völlig danebengeht: Die Welt hörte die Ansage eines unmittelbar bevorstehenden Massenmordes in Bengasi durch einen Diktator und da soll verhandelt werden? Geboten war unverzügliches Handeln, um dem Verbrecher die Mordwaffen aus der Hand zu schlagen. Das tat der Weltsicherheitsrat mit seiner Resolution, die Deutschland de facto ablehnte, obwohl es de jure sich nur der Stimme enthielt. So verhielt sich das Deutschland, das stets seine Pflicht darin sah, dem Frieden in der Welt zu dienen, und das vor sechs Jahren lauthals der Entschließung der Generalversammlung zustimmte, die Verantwortung zum Schutz zur Maxime internationalen Rechts machte. Die Haltung in der Libyenfrage war und ist falsch und das Abstimmungsverhalten war einer der schwersten Fehler deutscher Außenpolitik in sechzig Jahren Bundesrepublik Deutschland. Das ist auch nicht vergessen, auch wenn es, wie üblich, auf Ebene der Minister und darüber nicht mehr erwähnt wird, weil man, wie üblich, in solchen Lagen „nach vorne sieht“. Die Arbeitsebene aber wird es noch lange spüren, vor allem aber, und das ist viel schlimmer, es ist Misstrauen entstanden, wohin dieses Land will und ob man sich auf Deutschland noch verlassen kann. Der Bundeskanzlerin ist deshalb zu danken, dass sie bei ihrem Besuch in den USA eindeutig die Bindung Deutschlands an Nato und EU betont hat. Sie selbst hat daran nie Zweifel gelassen, deshalb kann man ihr auch nur zu der verdienten Auszeichnung mit der Medal of Freedom gratulieren. Wie schade, dass dieses Denken nicht die Richtschnur für die Abstimmung in den Vereinten Nationen war. Dann hätte man mit Ja stimmen müssen und hätte ohne jeden Schaden und mit guten Gründen erklären können, dass man in der gebotenen Schnelligkeit die begrenzten Fähigkeiten Deutschlands allein schon aus rechtlichen Gründen nicht zur Verfügung stellen kann. Nach vorne sehend sollte man aus dieser Krise lernen und einsehen, dass ein Land wie Deutschland nicht abseits stehen darf, wenn vor seiner Haustür Massenmord verübt werden soll und die Vereinten Nationen die Völker der Welt auffordern, zum Schutz menschlichen Lebens einzugreifen. Kirchentage, auf denen Irrationales Beifall findet und die gerne vom Hochsitz der Moral aus verurteilen, mögen Enthaltung fordern, Politiker dürfen das nicht, denn sie haben Verantwortung für den Schutz menschlichen Lebens. Sie dürfen sich den Luxus der Irrationalität nicht leisten, sie müssen handeln, sie wissen, dass sie dabei schuldig werden können, und sie wissen auch, dass der Einsatz militärischer Mittel niemals die Regel, sondern immer die Ausnahme sein wird. Es wird in unserer aus den Fugen geratenen Welt leider weitere Krisen à la Libyen geben. Wir Deutschen sollten deshalb erkennen lassen, dass auch wir uns unserer Verantwortung stellen werden, auch wenn das Last, Risiko und Opfer bedeutet. Orden sind immer Dank und Verpflichtung auf die Zukunft zugleich. Ich nehme an,

Präsident Obama dachte daran, als er unsere Kanzlerin auszeichnete.

— Klaus Naumann, General a. D., ehemaliger

Generalinspekteur der Bundeswehr und früherer Vorsitzender des Militärausschusses der Nato

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