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Meinung: Darf Rot-Grün Atomstrom verbieten?: Nein bloß nicht - das wäre Protektionismus

Die rot-grüne Regierung will keinen schmutzigen Atomstrom. Auch keine schwarzen Nebelfahnen, die aus Kohlekraftwerken emporsteigen und die Luft verpesten.

Von Antje Sirleschtov

Die rot-grüne Regierung will keinen schmutzigen Atomstrom. Auch keine schwarzen Nebelfahnen, die aus Kohlekraftwerken emporsteigen und die Luft verpesten. Gut so. Man hat verstanden, dass die Vision einer ökologischen und beherrschbaren Atomenergie kaum mehr als ein naiver Reflex der siebziger Jahre war. Die teuren Meiler liefern eben nicht nur billigen Strom. Sie bergen auch Risiken, denen sich die Deutschen nicht länger aussetzen wollen. Paralleles gilt für Kohlekraftwerke, die ohne Rauchgasentschwefelung zur Gefahr für Weltklima und Gesundheit werden. Also: Fort damit aus Deutschland. Die Wähler haben Rot-Grün mit diesem Projekt betraut.

Regierte Gerhard Schröder mehr als nur dieses Land zwischen Sylt und Alpen, könnte der Kanzler jetzt Weltstandards setzen. Aus welchen Quellen in Sibirien oder der Bretagne Strom erzeugt wird, und welche Reinigungsstufe in den Schornsteinen der Kohlekraftwerke erreicht werden muss, das zu entscheiden läge dann in seinem Ermessen. Leicht könnte die Bundesregierung ein Gesetz erlassen, das nur "sauberen" Strom über deutsche Grenzen lässt. Weil der Ausstieg aus Atom- und rußiger Kohleenergie bisher jedoch eine national begrenzte Suche nach politischen Kompromissen geblieben ist, verbietet sich Strom-Protektionismus. Deutschland ist Teil der Europäischen Union, es bekennt sich zur Öffnung nach Osten und zu den Regeln des barrierefreien Welthandels. Wollen deutsche Politiker Öko-Dumping unterbinden, dann müssen sie politisch ringen - in Brüssel genauso wie in Moskau und Prag.

Mauern waren noch nie eine erfolgreiche Politik. Strom-Mauern sind es auch nicht. Schon aus technischen Gründen: Europa ist ein Stromsee, der aus vielen Armen gespeist wird. Allein aus Österreich fließen jährlich 5000 Gigawattstunden hierher. Wien zieht Strom aus Budapest, die Ungarn kaufen in Russland. Die deutsch-österreichische Grenze passiert also eine bunte Mischung aus "sauberem" und "schmutzigem" Strom. Will die Bundesregierung jetzt alle Kabel an der Grenze kappen, nur weil die Gefahr besteht, dass eines der vielen Elektronen aus einem Atommeiler ohne deutsche Sicherheitsstandards stammt?

Und wenn. Wem würde das nützen? Kein einziges russisches Kohlekraftwerk würde damit zu Rußfiltern kommen. Denn nur durch Handel mit Westeuropa erhält Moskau Geld für die Filter - und die Chance auf Alternativen für Tschernobyl. Und die Deutschen? Gewiss, wir könnten uns rühmen, die ökologischsten Stromkabel der Welt zu besitzen. Ohne preiswerten Strom der Nachbarn steigen allerdings auch hierzulande die Strompreise wieder rasch. Arbeitsplätze in der Industrie werden gegen höhere Energiekosten aufgewogen - und abgebaut. Am Ende könnte das selbst den politischen Erfolg des deutschen Atomausstiegs kosten.

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