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Darüber spricht ganz …: … Frankreich

Hans-Hagen Bremer über die Annullierung einer Ehe wegen fehlender Jungfräulichkeit der Braut.

Das Hochzeitsfest am 6. Juli 2006 und die Folgen werden den Brautleuten, ihren Familien und den zum Fest geladenen Freunden unvergesslich sein. Aicha und Noredine – so sollen sie hier heißen – hatten sich als Partner fürs Leben gefunden, sie, die 25-jährige Studentin islamischen Glaubens, und er, der 30-jährige zum Islam konvertierte Ingenieur. Bis zur Hochzeitsnacht. Unter der Bettdecke stellte sich nämlich heraus, dass Aicha, anders als sie ihrem Zukünftigen vor der Trauung versichert hatte, keine Jungfrau mehr war. Empört sprang Noredine aus dem Ehebett und schickte die Braut noch in selbiger Nacht zu ihren Eltern zurück. Dann beantragte er die Annullierung der Ehe wegen eines Irrtums über eine „wesentliche Eigenschaft“ der Partnerin. Im April dieses Jahres erklärte nun ein Gericht in Lille, wie erst dieser Tage bekannt wurde, den Lebensbund der beiden im Namen des Volkes für ungültig.

Doch das Volk ist entsetzt. Tausende Ehen werden Jahr für Jahr in Frankreich aus verschiedensten Gründen, manche schon im ersten Jahr nach der Trauung, geschieden. Hunderte werden für null und nichtig erklärt. Meistens handelt es sich dabei um Scheinehen, die nur dem Zweck dienen, dem Partner oder Partnerin eine Aufenthaltsgenehmigung zu verschaffen. Seltener sind Annullierungen, die der Code Civil von 1804 ermöglicht, weil einer der Partner sich in der Person des anderen getäuscht hat – etwa weil dieser im Strafregister steht, der Prostitution nachging oder von Drogen abhängig ist. Doch fehlende Jungfräulichkeit als Grund der Annullierung?

Die Richter folgten der klassischen Rechtsprechung, sagt der Anwalt des getäuschten Bräutigams. Nicht die abhandengekommene Jungfräulichkeit, sondern die bewusste Lüge der Braut, die der Ehe von Beginn an die Vertrauensgrundlage entzogen habe, sei für ihren Spruch ausschlaggebend gewesen. Dagegen erklärte Valérie Létard, die Staatssekretärin für Frauenfragen, es sei „schockierend“, dass der Code Civil heute noch in einer für die Lage der Frauen so rückschrittlichen Weise ausgelegt werde. Hätte das Gericht im Fall einer nicht muslimischen Braut genauso entschieden?– fragte die Anthropologin Dounia Bouzar. Die Philosophin Elisabeth Badinter warnte, dass sich jetzt noch mehr muslimische Mädchen zur chirurgischen Wiederherstellung des Hymen genötigt sähen. Eine muslimische Frauenorganisation rief zum 7. Juni zu einem Gedenken für ein Mädchen auf, das sich aus dem Fenster stürzte, als es vom Vater beim Verkehr mit seinem Freund erwischt wurde.

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