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Meinung: Das Bild vom Richter

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage wertet ein Gericht „massive“ und „zum Teil menschenunwürdige“ Medienberichterstattung als strafmildernden Grund. Im Fall des Autobahnrasers erschien das zumindest vordergründig seltsam; in der Urteilsbegründung gegen den koksenden Maler Jörg Immendorff ist es doppelbödiger Zynismus.

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage wertet ein Gericht „massive“ und „zum Teil menschenunwürdige“ Medienberichterstattung als strafmildernden Grund. Im Fall des Autobahnrasers erschien das zumindest vordergründig seltsam; in der Urteilsbegründung gegen den koksenden Maler Jörg Immendorff ist es doppelbödiger Zynismus. Menschenunwürdig war die Verhandlungsführung des Vorsitzenden Richters, der den todkranken Angeklagten unsinnig bloßstellte und den Eindruck erweckte, ihn der Öffentlichkeit als skurriles Abbild einer entarteten Lebenskultur vorführen zu wollen. Ob Immendorff sich als sexuell normal bezeichnen würde, wie er zu Homosexualität stehe, ob er auch mal ein Bild an der Steuer vorbei verkauft habe – alles das und einiges mehr ist nur schwer damit zu erklären, dass sich der Vorsitzende ein Bild vom Angeklagten machen wollte. Immendorff war angeklagt wegen eines Drogenvergehens, nicht wegen Steuerbetrugs und nicht wegen Abweichens von der Moralvorstellung des Richters. Der ist bisher noch nicht mit neun Prostituierten und einem Aschenbecher voller Kokain in einem Hotelzimmer erwischt worden, bekannte aber stolz, niemals ein Bild des Künstlers gesehen zu haben und nötigte den Prozessbeteiligten weitere überflüssige Einblicke in seine Erlebnis und Gedankenwelt auf. Elf Monate auf Bewährung hielt der Richter für gerecht. Doch was kann gerecht sein nach so einem Verfahren, das der Angeklagte ohnehin nur kurze Zeit überleben wird? lom

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