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Meinung: Das bisschen Haushalt

Wenn es der Kanzler nicht tut, bremst die EU Eichel beim Schuldenmachen

Was passiert, wenn Gerhard Schröder den SPD-Sonderparteitag nicht von seiner Agenda 2010 überzeugen und er im Bundestag für seine Reformvorhaben keine eigene Mehrheit mobilisieren kann? Dann würde wohl die EU-Kommission in Brüssel dafür sorgen, dass Deutschland seine Haushalts- und Ausgabenpolitik saniert. Die deutschen Debatten über das Pro und Contra der Einschnitte im sozialen Bereich, über Kranken- und Sterbegelder und Kündigungsfristen verdecken die europäische Realität. Und die besagt, dass die Bundesregierung – die jetzt amtierende, aber auch jede ihr nachfolgende – zu einer soliden Haushaltspolitik gezwungen werden kann, wenn sie selbst sich dazu nicht in der Lage erweist.

Die Handhabe dafür bietet der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, der EG-Vertrag, in seiner aktuellen Form. In ihm sind nicht nur die so genannten Maastrichtkriterien festgeschrieben, also die Bedingungen für die Teilnahme an der Gemeinschaftswährung Euro, sondern auch die Sanktionsmaßnahmen für den Fall des Verstoßes gegen das finanzpolitische Regelwerk. Eine dieser Regeln lautet, dass das Haushaltsdefizit nicht drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes überschreiten sollte. Gegen diese Regel hat Deutschland im Budgetjahr 2002 verstoßen, und gerade hat Finanzminister Hans Eichel angekündigt, dass er schon jetzt auch für das laufende Jahr eine deutlich über drei Prozent liegende Verschuldung anmelden müsse. Für 2004 sind die Prognosen ebenfalls schlecht. Einen ausgeglichenen Bundeshaushalt 2006, wie ihn sowohl Eichel als auch die EU angestrebt haben, wird es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht geben.

Daran ist nicht Eichel, daran ist die schlechte deutsche Konjunktur schuld. Wenn die Wirtschaft nicht wächst, entstehen keine neuen Arbeitsplätze. Dann steigt das Defizit der Sozial- und Krankenkassen, geht das Steueraufkommen zurück, wächst die Neuverschuldung. Es ist wirklich ein Teufelskreis, den die Bundesregierung mit ihrer Agenda 2010 durchbrechen will. Viel zu spät versucht sie, Arbeit wieder billiger, das Einstellen neuer Kräfte attraktiver zu machen.

Die Europäische Kommission sieht darin einen dringend notwendigen Beitrag zur Sanierung der deutschen Haushalte. Denn in Brüssel bemerkt man sehr wohl, dass die deutsche Haushaltsmisere nur teilweise konjunkturell bedingt ist. Es gibt auch strukturelle Ursachen, etwa die zu hohen Lohnnebenkosten. Deshalb fordert die EU einen einprozentigen Abbau dieses Strukturdefizits im laufenden Jahr.

Diese und weiterreichende Forderungen der EU an die Bundesregierung sind peinlicher als mögliche Strafen für mangelnde Haushaltsdisziplin. Der Brüsseler Verhaltenskatalog signalisiert nämlich: Die Bundesregierung hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Deshalb muss sie nachsitzen.

Darf Brüssel das? Ja – wer denn sonst? Die EU hat den Euro eingeführt, obwohl es keine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik gibt. De jure haben sich die Mitgliedsländer in Artikel 102 des EG-Vertrages zu einer koordinierten Wirtschaftspolitik verpflichtet. De facto ist es damit aber nicht weit her. Die Stabilitätskriterien für den Euro sind deshalb die einzigen Marken, an denen sich die Währungswächter und die EU orientieren können. Der deutsche Anteil am Euro-Geldumlauf beträgt 35 Prozent. Deutsche Verstöße gegen die Haushaltsdisziplin sind deshalb anders zu werten als jene in Portugal.

Wenn die deutschen Gegner der Agenda 2010 also meinen, sie könnten die Sanierung der öffentlichen Kassen, zu denen der soziale Bereich gehört, verschleppen, dann wird uns eben Brüssel das bisschen Haushalt machen.

Gerd Appenzeller

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