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Meinung: Das ganze Deutschland … Von Christoph von Marschall

Es ist längst keine Lust mehr, am Nationalfeiertag zu sprechen. Die Freude über die Einheit hat sich bei vielen Bürgern in einen hinteren Winkel des Gedächtnisses zurückgezogen.

Es ist längst keine Lust mehr, am Nationalfeiertag zu sprechen. Die Freude über die Einheit hat sich bei vielen Bürgern in einen hinteren Winkel des Gedächtnisses zurückgezogen. Sie empfinden die wirtschaftliche Krise des Landes womöglich stärker, als sie tatsächlich ist. Die üblichen Botschaften – Mut zu Reformen, die Krise als Chance begreifen –, mögen richtig sein, sind aber tausend Mal gesagt und haben sich verbraucht.Womit kann da ein Redner, der nicht nur Pflicht, sondern Kür bieten möchte, überhaupt noch glänzen?

Einen Preis für Originalität hat sich auch Bundespräsident Köhler nicht verdient, wenn er zur umfassenden Erneuerung Deutschlands aufruft, von allen Arbeit, Arbeit, Arbeit verlangt und bekräftigt, Gesellschaft und Politik dürften sich nirgendwo mit der Arbeitslosigkeit abfinden, egal, ob in Nord, Süd, West oder Ost. Und doch hat er einen wichtigen Akzent gesetzt mit seiner Forderung, das ganze Land müsse seine Veränderungsbereitschaft unter Beweis stellen. In den neuen Ländern herrscht der verbreitete Eindruck, bisher sei das allein von den Ostdeutschen verlangt worden. Und im Westen hält man es, halb zornig, halb resigniert, mit dem Glauben, ohne die Einheit könnten sich die Bundesbürger (West) noch heute den gewohnten Wohlstand und Sozialstaat leisten. Das ist aber ein Irrglauben, da hat Köhler Recht. Schon die Bundesrepublik des Jahres 1989 hätte ihre Erfolgsgeschichte nicht ohne grundlegende Veränderungen fortsetzen können. Auch der Westen erwirtschaftete längst nicht mehr, was er sich an Konsum leistete.

Was jedoch keine deutsche Spezialität war. Das Problem betraf die meisten westeuropäischen Industriestaaten. Rund um uns herum ging man damals auch ans Reformwerk. Deutschland jedoch hat diese Aufgabe über dem Glück der Einheit zunächst verdrängt und ist der ungeliebten Botschaft auch später noch ausgewichen – als habe der Zusammenbruch des realen Sozialismus allein dessen Untauglichkeit bewiesen und zugleich die Unfehlbarkeit der sozialen Marktwirtschaft. Doch auch die ist mitunter reparaturbedürftig. Der Satz, die früher auf die Einheit gemünzt war – das ganze Deutschland muss es sein –, der gilt jetzt auch für die Erneuerung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft im vereinten Land.

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