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Der Angeklagte: Torben P.

© Reuters

Torben P.: Das Gericht sollte hinschauen, bevor es richtet

Die Bilder sagen alles über die Tat des Torben P. Aber liefern sie wirklich die Wahrheit? Ein mildes Urteil des Gerichts würde wilde Proteste ausrufen. Aber eine Bewährungsstrafe wäre das richtige Signal.

Alles tötet den Menschen, auch der Mensch tötet den Menschen, lautet das Fazit des berühmtesten Gerichtsreporters der Weimarer Zeit. Seine Erkenntnis, gesammelt am Kriminalgericht Moabit, gilt weiter, und sie gilt auch für Schläge und Tritte: Alles schlägt den Menschen, sein Schicksal, die Natur, und eben auch der Mensch. Die Frage nach dem Warum ist, weil es so oft keine Antwort gibt, wohl die falsche Frage.

Sechs Tage stand ein Berliner Schüler vor dem Landgericht, der einen anderen „zertrat“, wie die Staatsanwaltschaft formulierte. Der junge Mann war erst seit einem Vierteljahr volljährig. Er hat Freunde, eine Familie. Er will Abitur machen und studieren. Er wird gemocht. Und doch schaffte er, in sieben Sekunden alles zu zerstören; sieben Mal "stumpfe Gewalteinwirkung" auf sein Opfer, 16 Schläge auf einen Helfer. Er hatte Angst, sagt er. Unfassbar. Bevor er zutrat, muss er aus sich herausgetreten sein.

Mehr kann man über diese millionenfach verbreitete Szene nicht sagen, die ihren Weg vom Polizei-Ticker auf Titelseiten und zu Youtube fand. Die Tat war unbegreiflich, fügt sie sich damit aber auch nur in viele unbegreifliche Taten ein, von denen es keine Bilder gibt wie diese. Aber Bilder, bewegte zumal, haben ihre eigene Kraft, Botschaft und Aussage. Bilder sagen mehr als Zeugen, Blutspuren, Gutachter und Arztdiagnosen. Doch sagen sie wirklich alles? Liefern sie die Wahrheit, auf die es ankommt? Bieten sie das rechte Maß, wie zu strafen ist?

Im Fall Torben P. fällt auf, wie schnell Klischee an Klischee gereiht wurde, beim Täter wie beim Opfer. Der Schüler wurde zum Hass-Treter, zum brutalen Schläger, dessen höllische Aggression sich an einem zufällig gewählten Passanten entlud, der auf einer Bank saß und nur seinen Frieden haben wollte. Dann war Torben der Juristensohn aus bürgerlichem Viertel, der dank der Komplizen aus der Kuscheljustiz von Untersuchungshaft verschont blieb. Während das in jeder Hinsicht bedauernswerte Opfer von Beratern benutzt wurde, um via Medien seine eigene Geschichte aufrecht und die öffentliche Empörung warmzuhalten.

Wie es wirklich war, dafür bedurfte es keines Prozesses, das Fahndungsvideo zeigte bereits, wie der später Geschädigte, ebenfalls stark betrunken, bereit war, die Provokation anzunehmen. Das entschuldigt nichts. Aber es korrigiert das Klischee. Im Prozess wurde dann deutlich, wie wenig bürgerlich es zuging im beengten Haushalt mit kranken und überforderten Eltern, die der volldementen Großmutter ihr Schlafzimmer überließen, die im Wohnzimmer lebten und den unglücklichen Sohn später in einem Sportinternat entsorgen wollten, bis der sich die Arme aufschnitt, weil er nach Hause wollte. Er verdient kein Mitgefühl. Aber er verdient auch nicht, dass wir seine Geschichte ignorieren.

Eine Debatte über Jugendgewalt daran anzuzetteln, führt ebenso in die Irre wie Lehren ziehen zu wollen. Es ist passiert, Gott sei Dank ist keiner gestorben, jetzt wird gestraft, nach Jugendrecht, dem Abschreckung fremd ist und das Rückfälle verhindern soll. Bei Torben P. droht kein Rückfall. Es ist dem Gericht deshalb zuzutrauen, dass es trotz immensem öffentlichen Druck noch eine Strafe wählt, die zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Es wäre eine Überraschung und für manchen wohl ein verheerendes Signal, die Bestätigung des Klischees von der laschen Justiz, die Schläger „davonkommen“ lässt. Aber warum soll man nicht versuchen, Klischees beiseitezulassen? Und hinzuschauen, bevor man richtet?

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