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Meinung: Das Hemd so nah, der Rock so fern Selten ist eine Volksabstimmung auch volksdienlich

Die letzte Woche im Taxi, nach den beiden europäischen Referenden – ein bedrückendes Erlebnis. Der Fahrer des rollenden Stammtisches war natürlich rundum dagegen; auch die Deutschen würden wütend mit Nein gestimmt haben.

Die letzte Woche im Taxi, nach den beiden europäischen Referenden – ein bedrückendes Erlebnis. Der Fahrer des rollenden Stammtisches war natürlich rundum dagegen; auch die Deutschen würden wütend mit Nein gestimmt haben. Das mag ja so sein, aber die Gründe, die der gute Mann dafür nannte, waren so konfus (und leider auch anderswo so oft zu hören), dass man tief ins Grübeln kam, über das Volk und über die Volksabstimmung. Die Beschwerden, die der Volkschauffeur hervorbrachte, hatten zwar irgendwo einen Kern, aber wirklich nichts zu tun mit der EU-Verfassung und mit Europa. Aber der Versuch, ihm zu zeigen, dass er sich ohne Europa nur schlechter stellen würde und mit dem Verfassungsvertrag manches besser werden könnte, scheiterte auf der ganzen Linie. Ich versank in immer tieferes Schweigen und hätte am Ende fast vergessen, um die Quittung zu bitten.

Trotzdem bleibe ich ein Anhänger eines intelligent in die repräsentative Verfassung eingefügten plebiszitären Elements, schon um die Allmacht der Parteien zu relativieren. Man darf die prinzipielle Meinung zu Referenden nicht abhängig machen von deren Ausgang im Einzelfall. Auch ist den Bürgern das europäische Projekt nicht immer hinreichend plausibel gemacht worden, schon gar nicht von Politikern, die das Stichwort „Brüssel“ nur zu oft als bequeme Ausrede für ihr eigenes Versagen benutzt haben. Nun aber die kritischen Einwände. Erstens: Das französische Präsidial-Plebiszit kann kein Vorbild sein. In Frankreich hat das Volk – plebiszitär – gar nichts zu sagen aus eigener Initiative, sondern allein dann, wenn der Präsident es fragt; und das, obwohl er es nie tun muss. Es handelt sich dabei also stets um Abstimmungen über den Präsidenten und seine Politik insgesamt; die Sache dient dabei zu kaum mehr als zu einem Vorwand opportunistischer präsidialer Aktion. Es handelte sich auch im konkreten Fall um eine Vertrauensabstimmung über den Präsidenten – weshalb dieser auch konsequenterweise hätte zurücktreten müssen, wie seinerzeit Charles de Gaulle, als dessen Enkel sich Jacques Chirac ausgibt.

Zweitens: Man mag sich über die Rationalität mancher parlamentarischer Entscheidungen ja so seine Gedanken machen – aber die Art von Plebisziten, die wir in der vergangenen Woche erlebt haben, wecken keineswegs das Vertrauen, man könne auf diese Weise auch nur andeutungsweise vernünftiger und weitblickender über komplizierte Fragen der heutigen Welt entscheiden. Im Gegenteil: Solche Plebiszite erzeugen den politisch ganz fatalen Eindruck, man könne die Kompliziertheit der Welt mit einer einfachen Ja-Nein-Illusion erschlagen. Mein Taxifahrer hatte keine Ahnung davon, worum es in dieser Angelegenheit ging.

Drittens: Natürlich müssen die elementaren politischen Sehnsüchte, Abneigungen und Instinkte des „Volkes“ in Übereinstimmung gebracht werden mit den wohlverstandenen Gesichtspunkten des Gemeinwohls. Das Volkstümliche muss also mit dem Volksdienlichen nach einem Gesetz der Freiheit und Vernunft vermittelt werden. Das beste Forum bleibt dafür nach wie vor die im Prinzip repräsentative Verfassung – sofern die Politiker beides leisten: mutige Führung und kräftige Überzeugung.

Übrigens: Mein Taxifahrer stammte aus dem Ausland – aber er war vehement gegen die Aufnahme weiterer Mitgliedsländer in die EU. Auch ihm sitzt, wie in der Regel auch mir, das Hemd näher als der Rock. Diese Erfahrung darf man gewiss nie ignorieren, aber als alleinige Maxime einer aufgeklärten, einer auch nur aufgeklärt egoistischen Politik taugt sie mitnichten. Sondern nur für blanken Populismus und platte Plebiszite.

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