zum Hauptinhalt

Meinung: Das Kreuz mit dem Kreuz

Von Gerd Appenzeller

Israel kann, 57 Jahre nach der Staatsgründung, der weltweiten Rotkreuzbewegung, dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, beitreten. Ein „roter Kristall“, ein unter jedem Blickwinkel politisch, ideologisch und religiös neutrales Symbol, macht das möglich. Bei Hilfsaktionen außerhalb des eigenen Staatsgebietes wird Israel künftig dieses Zeichen als Erkennungsmerkmal führen, statt des roten Davidsterns. Damit gibt es nun vom kommenden Jahr an neben dem Roten Kreuz und dem Roten Halbmond ein drittes, weltweit anerkanntes Symbol für die im IKRK zusammengeschlossenen Sanitätsdienste. Dieses Kristallsignet steht auch allen jenen Staaten zur Verfügung, die sich weder unter dem Zeichen des Kreuzes noch jenem des Halbmondes organisieren wollen. Das ist ein positives Signal, weil es einen die Arbeit des Roten Kreuzes behindernden Konflikt ausräumt. Aber ein wirklicher Fortschritt ist es nicht. Warum?

Bei der internationalen Rot-Kreuz-Konferenz in Genf haben sich einerseits viele arabische und muslimische Staaten der Stimme enthalten oder gegen den Kompromiss gestimmt. Der unterschwellige Streit schwelt also weiter, und er wird auch dadurch deutlich, dass, andererseits, Israel zwar den palästinensischen „Roten Halbmond“ respektiert, den roten Davidstern aber im besetzten Westjordanland weiter führen will. Schwerer wiegt die weltweit fehlende Bereitschaft, zu akzeptieren, dass das rote Kreuz nur sehr weit abgeleitet auf ein christliches Symbol zurückgeht, während der aus Protest gegen vermeintlich religiöse Bezüge entstandene rote Halbmond genauso wie der rote Davidstern genau jene geistesgeschichtlichen Hintergründe haben. Henri Dunant, der Schweizer Gründer der Rotkreuzgesellschaften, wählte 1864 eine farblich umgekehrte Schweizer Fahne als Symbol. Das Schweizer Kreuz geht auf einen Feldzug König Rudolfs von Habsburg im Jahre 1289 und sein das Kreuz tragendes Wappen zurück. Die Schwyzer kämpften an der Seite des Habsburgers. Eidgenössische Soldaten führen das weiße Kreuz seit 1339 als nationales, nicht als religiöses Symbol.

Der Blick auf die Geschichte zeigt also, dass sie hier als Vorwand diente und weiter dient, um handfesten politischen und wirtschaftlichen Konflikten der Jetztzeit einen kulturellen und religiösen Anstrich zu geben, der den eigentlichen Streitgegenstand in höhere Sphären entrücken soll.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false