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Meinung: Das Rückzugsgefecht

Ein neuer, nüchterner Ton: Die Baker-Kommission belebt die Irakkriegsdebatte

Etwas platt, aber nicht ganz falsch gesagt, stehen sich in der amerikanischen Außenpolitik zwei Schulen gegenüber, manchmal bekämpfen sich deren Vertreter auch. Es sind die Realisten und die Idealisten. Die Realisten hassen Umstürze und Kriege, sie lieben Berechenbarkeit und Stabilität, ein eng gefasster Begriff von nationalem Eigeninteresse bestimmt ihr Handeln. Die Idealisten hassen die Berechenbarkeit und Stabilität von Diktaturen, sie lieben den nötigenfalls gewaltsamen Export von Demokratie und Menschenrechten, aus ihren Argumentationen träufelt viel Moralismus.

Die Realisten haben mit dem Schah von Persien paktiert, sie warnten vor einem Zusammenbruch der Sowjetunion, hielten bis zuletzt an der Idee eines jugoslawischen Einheitsstaates fest, bis heute verbrüdern sie sich mit den autoritären Regimen von Saudi- Arabien, Pakistan und Ägypten. Alle Menschenrechtsrhetorik verspotten sie. Den Aufstieg des Islamismus und der Terrororganisation Al Qaida haben sie nicht verhindert. Viele meinen, ihre stabilitätsfixierte Politik habe diesen Aufstieg sogar begünstigt.

Den Idealisten haben wir den Irakkrieg zu verdanken, die fatalste US-Militäroperation seit Vietnam. Alle ursprünglichen Intentionen kehrten sich ins Gegenteil: Was als Befreiung geplant war, wird als Invasion wahrgenommen, was als „Kampf gegen den Terrorismus“ deklariert wurde, schafft täglich immer neue Terroristen.

Der Ruf der letzten verbliebenen Supermacht im gesamten arabisch-muslimischen Raum ist durch diesen Krieg ramponiert, nein ruiniert. Bei den ach so geschätzten Wahlen in der Region triumphierten die Muslimbrüder in Ägypten, die Hamas in Palästina, Hisbollah im Libanon, radikale Schiiten im Irak und Mahmud Ahmadinedschad in Iran. Diese Bilanz kann sich wahrlich nicht sehen lassen.

Nun hat eine überparteiliche Kommission, benannt nach Ex-Außenminister James Baker, die im Auftrag des Kongresses acht Monate lang die Lage im Irak eruierte, ihre Ergebnisse und Empfehlungen vorgelegt. Radikal fällt zwar die Analyse aus, die Lösungsideen jedoch vergrößern nicht den Optimismus. Eine „magische Formel“, das räumen die Autoren selbst ein, gibt es eben nicht.

Weder eine internationale Konferenz noch ein etappenweiser Rückzug der US-Truppen garantiert eine Befriedung. Wahrscheinlicher ist, dass die drei großen Mitakteure Iran, Saudi-Arabien und Syrien – plus der Türkei, die mit Sorge auf das entstehende kurdische Gemeinwesen blickt – ihren Einfluss auf die verfeindeten Bevölkerungsgruppen weiter ausdehnen. Der Irak wird sich also aufteilen. Kein Idealist der Welt wird diesen Prozess aufhalten. Die Frage ist nur: Unter welchen Bedingungen werden Sunniten und Schiiten eine Teilung ihres Landes akzeptieren?

Doch trotz aller Skepsis: Seit dem Vorliegen des Baker-Berichts ist ein neuer, erfrischend nüchterner Ton in die Debatte eingezogen. Die Realisten sind zurück. Da wird nichts mehr beschönigt, bagatellisiert oder gegen offenkundige Belege schlicht abgestritten. Ein Beispiel dafür bot auch der designierte Verteidigungsminister Robert Gates bei seinem Auftritt im Senat. Auf die Frage, ob die US-Soldaten den Krieg im Irak derzeit gewinnen, antwortete er knapp „No, Sir“. Das schroffe Urteil schwächte er dann zwar später etwas ab, aber da war die Botschaft bereits angekommen.

Können die Realisten ausbaden, was die Idealisten ihnen eingebrockt haben? Präsident George W. Bush wird sich der neuen Dynamik nicht verschließen. Denn er hat keine andere Wahl. Längst klingen seine Durchhalteparolen hohl. Wenn er geschickt ist, wird er den Baker-Bericht benutzen, um die eigene Verantwortung an dem Debakel zu minimieren. Er tut einfach, wie ihm empfohlen – und wenn sich das Chaos dadurch potenziert, schiebt er die Schuld auf die Ratschläger. Die Idealisten in der amerikanischen Außenpolitik sind geschlagen. Der Sieg der Realisten indes ist erst besiegelt, wenn der Irak trotz US-Abzugs nicht im Bürgerkrieg versinkt.

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