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Eine Frage der Perspektive: Die Europäer geben sich in Davos optimistisch. Ob zentrale Reform- und Wirtschaftsvorhaben gelingen, ist allerdings fraglich.

© AFP

Davo: Die Europäer sind zu optimistisch.

Die Europäer blicken beim Weltwirtschaftsforum zuversichtlich auf die Konjunkturaussichten. Doch vieles, was sie als Grund dafür angeben, ist noch längst nicht Realität - zum Beispiel ein Freihandelsabkommen mit den USA.

Ein sperriges Begriffspaar schwebte über Davos. „Widerstandsfähiger Dynamismus“ lautete das Motto der 43. Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums, die heute am Fuße des Zauberbergs zu Ende geht. Was Veranstalter Klaus Schwab genau damit meint, blieb offen. Aber dass es in den Krisenjahren an Widerstandsfähigkeit und Dynamik fehlt, ist offensichtlich. Kein Wachstum, billiges Geld – das ist für die entwickelten Nationen die neue Normalität geworden, aber es macht sie labil und lahm. In Davos haben die Europäer immer wieder drei Punkte genannt, die aus der Stagnation führen sollen: Haushaltskonsolidierung, Strukturreformen, Freihandelsabkommen.

Doch bei allen dreien sieht es nicht gut aus. Die Haushaltskonsolidierung zielt auf den Abbau von Staatsschulden, die über Jahrzehnte angehäuft wurden. Nur ein Bruchteil ging zuletzt für Banken und Pleitestaaten drauf, das meiste fiel für die Einlösung von Wahlversprechen aller Art an. Dass sich dieses System ändert, ist nicht in Sicht. Auch in Deutschland ist die Lage nicht so gut, wie es scheint. Zwar hat die Bundesregierung vor, für 2014 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Aber von einer grundsätzlichen Konsolidierung, die über den nächsten Wahltermin hinausreicht, ist das noch weit entfernt.

Das gilt auch für die Strukturreformen, die in Davos in aller Munde waren. Selbst die Agenda 2010 von Gerhard Schröder war ja keine wirkliche Strukturreform, sondern hat Ausgaben des Sozialstaats in die Zukunft verlagert. Ihr Ausgangspunkt war die These, dass Arbeit besser ist als Arbeitslosigkeit und dass der Staat deswegen im Zweifel Lohnzuschüsse zahlen sollte. Damit sind zwei gefährliche Trends entstanden: der Trend zum subventionieren Billiglohn, und der Trend zur Altersarmut, der erst Jahre später voll durchschlagen wird.

Wer wenig verdient, zahlt wenig oder nichts in die Rentenversicherung ein und wird im Alter nicht genug zum Leben haben. Diese Folgekosten, die deswegen auf den Staat zukommen, sind nicht einkalkuliert. Ökonomisch betrachtet ist bisher offen, ob die Agenda 2010 langfristig eine positive oder negative Rendite haben wird. Und politisch hat sie sich für die SPD überhaupt nicht gelohnt. Wenn aber Reformer schon beim ersten Anlauf auf Jahre in die Opposition verbannt werden, wer soll dann für den Wandel sorgen?

Dass neuerdings junge CDU-Abgeordnete wieder die Bierdeckel-Steuerreform fordern, zeigt die Hilflosigkeit. Es fehlt nicht an Erkenntnis. Alle wissen, dass dieses Steuersystem eine Zumutung ist. Es wäre höchste Zeit, auf diesem Feld tatsächlich voran zu kommen. Aber, das zeigen die Anläufe von Friedrich Merz und Paul Kirchhof, in unserer fein austarierten Konsensgesellschaft ist es schlicht unmöglich.

Genauso unmöglich, aber noch dringender geboten wäre eine Reform des Rentensystems. Die Bundesregierung gibt pro Jahr mehr als 80 Milliarden Euro in die gesetzliche Rentenversicherung, die sich einst allein aus den Beiträgen der Versicherten finanzieren sollte. Es findet eine gigantische Umverteilung auf Kosten der heutigen Arbeitnehmer statt, die viel mehr einzahlen, als sie je herausbekommen werden. Aber wer das Thema angeht, legt sich mit den Rentnern und Rentnerinnen an, und gegen 20 Millionen Wähler regiert es sich nicht lange.

Konsolidierung und Strukturreformen – es sieht nicht danach aus, dass daraus viel wird. Das gilt auch für das dritte Schlagwort von Davos, die Freihandelsabkommen. Nach der Wiederwahl von Barack Obama machen sich die Europäer Hoffnung auf ein Freihandelsabkommen mit den USA. Die Vorarbeiten laufen schon seit mehr als fünf Jahren, die Idee klingt großartig. Eine Art Nato der Wirtschaft soll entstehen. China und Indien wären abgehängt, der Westen hätte seine wirtschaftliche Vormachtstellung auf viele Jahre gesichert.

Indizien dafür, dass es klappen könnte, gibt es aber bisher nicht. Die Versuche der sogenannten Doha-Runde, ein Welthandelsabkommen abzuschließen, sind nicht zuletzt an den USA und der EU gescheitert. Warum sollte die direkte Konfrontation nun den Konflikt über die Agrarexporte entschärfen? Offen ist aber auch, wie stark der wirtschaftliche Effekt wirklich wäre, wenn die beiden stagnierenden, hoch verschuldeten Wirtschaftsräume näher zusammenrückten. Mindestens so erstrebenswert sind jedenfalls Freihandelsabkommen der EU mit Asien.

Von „widerstandsfähigem Dynamismus“ ist Europa weit entfernt. Dass der Ausblick in Davos trotzdem positiv war, ist allein den Zentralbanken geschuldet. Europa droht ein verlorenes Jahrzehnt, mit dieser Warnung traf George Soros in Davos einen Punkt. Wenn Konsolidierung und Reformen auf sich warten lassen, der Welthandel keine neuen Impulse gibt und die EZB sich nicht mehr nur der Preisstabilität verpflichtet sieht, dann liegt vor Europa eine Ära der Stagnation mit einer spürbar höheren Inflation – im besten Fall.

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