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Muslimische Demonstrantinnen in Bangkok.

© dapd

Debatte um Anti-Islam-Video: Argumente statt Attentate

Eine offene Gesellschaft darf der Gewalt nicht weichen, sondern muss ihre Werte wehrhaft verteidigen, meint Christiane Peitz. Dazu gehört auch, "Pro Deutschland" oder Hassprediger Terry Jones zu ertragen.

Es geht viel durcheinander in der Debatte um das anti-islamische Schmähvideo, gegen das in vielen islamischen Ländern der Welt mit Gewalt protestiert wird. Mindestens 15 Tote, so die bisherige Bilanz der Ausschreitungen. Erstens: „Innocence of Muslims“ ist kein Film, sondern ein wirrer Zusammenschnitt von Wüstenbilderschnipseln, denen zufolge Mohammed ein geiler, blutrünstiger Despot mit angeklebtem Bart sein soll, bestenfalls der Trailer zu einem Film. Zweitens: Es ist weniger Kunst als Käse, aber die Freiheit der Kunst gilt für solche Strohdummheiten genauso wie für die großartigen „Satanischen Verse“ von Salman Rushdie. Drittens: Es stimmt nicht, dass das Problem ohne das Internet nicht in der Welt wäre.

Der Crash der Kulturen, als Rushdie wegen seines Romans von Ajatollah Chomeini mit einer Fatwa belegt und Kopfgeld auf ihn ausgesetzt wurde, ereignete sich vor 23 Jahren – also vor Verbreitung des World Wide Web. Am Montag erschien Rushdies Autobiografie, in der er beschreibt, wie er damals aus den analogen Medien von Toten bei „Rushdie-Demos“ in fernen Ländern erfuhr; auch sein japanischer Übersetzer fiel den Anschlägen zum Opfer.

Deutschland streitet über das Mohammed-Video:

Nehmt Rücksicht, sagen die einen nun wieder, wie damals 1989, und empfehlen, die Aufführung des 14-Minuten-Trashfilmchens zu verbieten, auch in Deutschland. Oder sie versuchen wie die Kanzlerin, eine merkwürdige Balance zu halten und den Mohammed-Karikaturisten auszuzeichnen, wohl aber ein Video-Verbot zu prüfen. Andere fordern: Wir dürfen der Gewalt nicht weichen und müssen die Werte des Westens wehrhaft verteidigen. Eine kuriose Konfliktlinie: Natürlich sollen wir Rücksicht aufeinander nehmen, auf andere Religionen, Traditionen, Geschmäcker. Aber das Gebot der Toleranz gegenüber Anderslebenden impliziert im demokratischen Rechtsstaat eben, dass nicht nur die Religions-, sondern auch die

Meinungsfreiheit gilt.

Keines dieser Grundrechte steht hinter dem anderen zurück. Deshalb bleibt einer demokratischen Gesellschaft etwa bei der Beschneidungsdebatte, der „Titanic“-Papstkarikatur oder der Kopftuchfrage nichts anderes übrig, als öffentlich über den konkreten Einzelfall zu streiten, zu protestieren, zu verteidigen und Rechte abzuwägen. Wenn es nicht anders geht, dann trifft man sich vor Gericht. Es ist eine große demokratische Errungenschaft: Widerspruch nicht per Attentat zu artikulieren, sondern per Argument oder Strafanzeige.

Die Trennung von Staat und Kirche hat ihren Grund auch darin, dass Religionen weniger Grundrechte garantieren, zum Beispiel für Frauen. Auch deshalb wird ihren Schriften, Ritualen, Bilderverboten und Verhaltensgeboten hierzulande kein uneingeschränkter Schutz gewährt.

Fotostrecke: Ausschreitungen in der islamischen Welt wegen des Mohammed-Videos:

Auch für einen ultrarechten Verein wie „Pro Deutschland“ gilt das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, so schwer der Gedanke zu ertragen ist. Der Hassprediger Terry Jones darf zwecks Videopräsentation nicht einreisen: Eine selbstbewusste, offene Gesellschaft müsste eigentlich in der Lage sein, auch so einen auszuhalten. Wichtiger ist jedoch der innergesellschaftliche Disput: Toleranz ist nicht Indifferenz, sondern Engagement, Auseinandersetzung, mühselige Überzeugungsarbeit. Mit Rechtsextremen und Radikalislamisten kann man nicht diskutieren, also lieber das Video sperren oder verbieten? Klar, Gewalttäter und Gesetzesbrecher gehören strafrechtlich verfolgt. Für alle anderen aber gilt: dass mit ihnen zu reden und zu streiten ist.

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