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Wie nah darf Protest sein? Im Fall Rainer Schwarz entschieden die Behörden: Ziemlich nah dran.

© dapd

Demonstrationsrecht: Wie nah darf Protest sein?

Direkt vor dem Haus von Flughafenchef Rainer Schwarz wurde am Wochenende demonstriert. Und vor einer Moschee. Der Ort einer Demonstration kann ein Teil ihrer Botschaft sein – aber das hat Grenzen.

Als die Welt noch einfach und Politik übersichtlich war, als es nur rechts oder links, Ost oder West, Krieg oder Frieden gab, da waren Demonstrationen entweder groß oder klein. Groß etwa war ein Auflauf wie der im Bonner Hofgarten gegen den Nato-Doppelbeschluss. Eine eindrucksvolle Kundgabe, eine klare Botschaft, ein Ereignis.

Das ist vorbei, Menschen und Interessen vereinzeln, und für jede Meinung gibt es mindestens ein Dutzend Repräsentanten und noch drei Mal so viele Foren im Internet; die Demo schafft nur noch selten, wofür sie einmal stand, nämlich viele Menschen zu versammeln. Also müssen andere Merkmale her, die sie zum Ereignis machen.

Deshalb gibt es heute eine breite Demopalette, aus der Passendes gewählt werden kann, solange nur Behörden und Gerichte mitmachen. Am Wochenende war das Modell „Demo am Privatwohnsitz des Kritisierten“ zu besichtigen, es traf Flughafenchef Rainer Schwarz, der mit Lärm beschallt wurde. Neu ist daran nichts, zuvor war unter anderem Hessens Ex-Ministerpräsident Roland Koch dran; ein routiniertes Opfer, der auch schon von demonstrierenden Erstklässlern samt Eltern heimgesucht worden war und die Lärmdemo willkommen hieß.

Klaus Wowereit dagegen war per Gerichtsbeschluss verschont worden. Ungerecht? Jeder Fall ist anders und muss individuell abgewogen werden; bei Wowereit meinten die Richter, als Profipolitiker müsse er überall einstecken, dafür soll er zu Hause mal ausruhen dürfen. Das mag man teilen oder nicht, schließlich hat Wowereit sein Privatleben politisch genutzt und ohnehin ein dickes Fell, andererseits: Für Menschen im medialen Dauerfeuer kann das Zuhause eine andere Bedeutung haben. Im Fall Schwarz dagegen wird irgendwann wieder Stille einziehen.

Der Ort, an dem demonstriert wird, gehört zur Meinung, die man kundgeben will. Fluglärm am Privatwohnsitz – das ist zwar nicht einfallsreich, aber als Aussage deutlich. Insofern ist gut, dass hier viel Freiheit herrscht. Weniger Toleranz hätte dagegen ein anderes aktuelles Modell verdient, die „Demo zur Muslimbeleidigung“. Hier sollen Moscheebesucher dazu gebracht werden, in Anbetracht von Mohammed-Karikaturen Messer zu zücken. Das hat mal geklappt, deshalb versuchen es die Veranstalter immer wieder. Die politische Aussage ist die Beschimpfung der Gläubigen als Terrorgemeinschaft, diesmal garniert mit dem Slogan „Hasta la vista, Salafista“; eine Anlehnung an die Sprüche von Actionhelden wie Arnold Schwarzenegger und Clint Eastwood, die sodann aus ihren Filmgegnern Hackfleisch machten. Ist die Moschee hier wirklich Teil einer Botschaft?

Dem Schwund an Mitläufern begegnen die Veranstalter mit verstärkter Neigung zu Lärm und Krawall. Viele Demos gibt es nur, weil die Medien darauf anspringen. Ein Wettbewerb, der – Stichwort Gegendemo – nur selten Originalität produziert. Letztlich ist es eben doch die Masse, die eine Versammlung ausmacht. Die haben wir lange nicht mehr gesehen. Wo bleibt sie? Wogegen ist sie? Und schwieriger noch: wofür?

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