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Meinung: Denkmale einer Epoche

Von Hermann Rudolph

W ahnsinn hieß das Wort der Nacht damals. Mit diesem Zeugnis der Sprachlosigkeit kann man sich heute nicht mehr aus der Affäre ziehen, schon gar nicht zum fünfzehnten Jahrestag des Mauerfalls. Gestehen wir uns ein: Die Veralltäglichung des Wunders ist kräftig fortgeschritten. Die Anstrengung, das Ereignis in Erinnerung zu halten, wird zusehends zum Problem. Der kurze Streit um den 3. Oktober hat es ebenso gezeigt wie die Gedenkstätte, die sozusagen durch die Hintertür eines Kunstprojekts auf den Platz am Checkpoint Charlie bugsiert wurde. Man kann das Urteil im letzten Mauerschützenprozess als Fingerzeig nehmen. Immerhin haben die Schwierigkeiten des Erinnerns dem gestrigen Gedenktag einen gewissen Debattenstoff verschafft.

Dass die Denkmäler, die eine erschreckte Politikerschar eilig ans Brandenburger Tor gedacht hat, mit ablehnenden Einwänden schon wieder demontiert werden, muss niemanden betrüben. Erstens wäre das MahnmalMeeting am Tor, das die Folge wäre, eine eher abschreckende Vorstellung. Und zweitens ist der Frage nach einer repräsentativen Form der Erinnerung mit Augenblicksideen nicht geholfen. Brauchen wir wirklich mehr Gedenkstätten? Oder mehr Phantasie, wie Erinnerung in die Alltagswelt der Stadt eingefügt werden kann? Eher vielleicht doch letzteres. Es müssen ja nicht immer Mauer-Beton und Didaktik sein, die gegen das Vergessen ins Feld geschickt werden.

Die Aufgabe, gegenwärtig und wirkend zu erhalten, was war, die Teilung und ihre Überwindung, bleibt ohnedies ein permanentes Unterfangen. Die Mauertoten waren ja nicht die einzigen Maueropfer. Die ganze Ära der drei, vier Jahrzehnte, in denen Deutschland und Europa gespalten waren, gehört dazu. Erst sie gibt einen Begriff davon, was für ein monströser Epochen-Bann an diesem 9. November 1989 aufgesprengt wurde. Das kann eine Gedenkstätte ohnedies nur andeuten, und Worte werden schwer atmend, wenn sie danach greifen. „Eines der glücklichsten Ereignisse in der deutschen Geschichte“ nannte Bundestagspräsident Thierse den Mauerfall gestern, „das größte Ereignis in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ Gyula Horn, der frühere ungarische Außenminister. Sie haben nicht übertrieben.

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