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Joachim Gauck und François Hollande.

© Reuters

Joachim Gauck in Frankreich: Der etwas andere Präsident

Joachim Gauck ist der erste Bundespräsident, der bei Besuchen in früher von Deutschland überfallenen Ländern Orte der Schande besucht. Damit setzt er ein Zeichen.

Joachim Gauck war 15 Jahre alt, als er das erste Mal durch Paris lief. Bei dem festlichen Essen, das Frankreichs Staatspräsident François Hollande am Dienstagabend für seinen deutschen Gast ausrichtete, wollte der Bundespräsident an diese Eindrücke erinnern, die einen jungen Menschen prägen. Daran erinnern, dass die Losung Freiheit–Gleichheit–Brüderlichkeit und das Land, dessen Bürger für die Freiheit auf die Barrikaden gingen, für ihn immer etwas Besonderes sein werden. Als Bundespräsident hatte Gauck Hollande bei einem Höflichkeitsbesuch schon kurz nach dessen Wahl getroffen. Das war am 2. Juli 2012, und Joachim Gauck hat später berichtet, wie viele Fragen ihm Hollande über das vereinte Deutschland gestellt und wie viel er ihm über das Zusammenwachsen habe erzählen können.

Der Frankreichbesuch des Bundespräsidenten wird vom Bürgerkrieg in Syrien bestimmt

Bis zum Donnerstag, an dem der Bundespräsident seinen Frankreichbesuch in Marseille beendet, wird viel von Wirtschaft und notwendigen Reformen, vom Bürgerkrieg in Syrien und davon die Rede sein, wie unterschiedlich sich die beiden Staaten auch da positioniert haben. Deutschland lehnt wie immer militärisches Engagement ohne Mandat von UN oder Nato ab, Frankreich aber ist bereit, an der Seite der Vereinigten Staaten im Nahen Osten einzugreifen – außenpolitische Aktivität kann auch von innenpolitischen Problemen ablenken. David Cameron, Premier des traditionellen Waffenpartners der USA, akzeptierte das Nein des Londoner Unterhauses zu einem Militäreinsatz, Präsident Barack Obama wirbt noch um ein zustimmendes Votum des US-Kongresses, auch François Hollande schließt nicht aus, die Nationalversammlung dazu zu hören.

Joachim Gauck will an die Kriegsverbrechen der SS erinnern

Es ist aber ein ganz anderes Thema, das den Geist dieses Staatsbesuchs prägen wird. Gauck will in Begleitung von Hollande nach Oradour-sur-Glane reisen, den Ort eines der furchtbarsten deutschen Kriegsverbrechen. Die SS-Division „Das Reich“ hatte am 6. Juni 1944 dort 642 Dorfbewohner, unter ihnen 245 Frauen und 207 Kinder, erschossen oder in der von außen verschlossenen und dann in Brand gesetzten Kirche verbrennen lassen.

Joachim Gauck ist der erste Bundespräsident, der bei Besuchen in früher von Deutschland überfallenen Ländern solche Orte der Schande besucht. Er war im tschechischen Lidice und in Sant’Anna di Stazzema in Italien. Deutsche Regierungen weigerten sich auch noch nach der Wiedervereinigung, unter anderem mit dem Hinweis auf den noch ausstehenden Friedensvertrag und eine fehlende Reparationsregelung, mit schäbigen Begründungen, die Opferfamilien wenigstens finanziell zu entschädigen. Daran kann der Bundespräsident nichts ändern. Aber er kann ein Zeichen des Abscheus setzen: des Abscheus über die Taten und des Unwillens darüber, wie der deutsche Staat mit den Folgen umgegangen ist.

Der erste Besuch eines Bundespräsidenten in Frankreich seit 17 Jahren

Darüber wird fast zur Nebensache, dass der Staatsbesuch, den Gauck Frankreich seit Dienstag abstattet, der erste eines Bundespräsidenten in diesem Nachbarland seit 17 Jahren ist. Roman Herzogs offizielle Visite in Paris fand tatsächlich 1996 statt, im Jahr 2000 kam Jacques Chirac zum Gegenbesuch nach Berlin. Dann wechselten die deutschen Präsidenten in so rascher Folge, dass die Planung schwierig wurde. Aufgefallen ist das, außer den Diplomaten, niemandem, denn das Netz der deutsch-französischen Konsultationen ist so dicht, dass der Eindruck vorherrscht, die Politiker beider Länder träfen sich ununterbrochen. Aber ein Zuviel kann es da wohl nicht geben.

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