zum Hauptinhalt

Meinung: Der Fall Biermann

Wallraff will 1976 mit der DDR gebrochen haben – die Akten sagen etwas anderes / Von Hubertus Knabe

Während die Stasi-Unterlagen Günter Wallraff für die Jahre 1968 bis 1971 stark belasten, ist das Material für die Zeit danach wegen der Vernichtung seines IM-Vorgangs außerordentlich dürftig. Zwar schrieb der für ihn zuständige Führungsoffizier Heinz Dornberger am 25. November 1976, dass die Zusammenarbeit nach der Verhaftung seines „Instrukteurs" im Dezember 1971 eingestellt worden sei. Doch bleibt erklärungsbedürftig, warum der IM-Vorgang bis zum Ende der DDR weitergeführt wurde.

Wallraffs Erklärung, er habe nach der Ausbürgerung Biermanns mit der DDR gebrochen, wird jedenfalls von den bisher vorliegenden Stasi-Unterlagen nicht bestätigt. Nachdenklich stimmt vor allem, dass er es war, der dem aufmüpfigen Liedermacher ausgerechnet den Stasi-Informanten Diether Dehm als westdeutschen Konzertmanager vermittelte. Damit war Biermann auch in der Bundesrepublik der Bespitzelung der Stasi unmittelbar ausgesetzt. Schlimmer noch: Dehm, der vom MfS als IM „Willy" geführt wurde, hatte unmittelbaren Einfluss darauf, wo Biermann auftrat und welche Konzertanfragen er ablehnte.

Aus den Berichten Dehms geht hervor, wie unsicher der ausgebürgerte Liedermacher im Westen zunächst war. So meldete der IM „Willy" im Februar 1977, dass Biermann immer „noch äußerst labil und mitunter ausgesprochen hysterisch" sei. Unterschiedlichste politische Gruppen versuchten, ihn für sich zu gewinnen. „Biermann selbst verkraftet diese vielseitigen Bemühungen offensichtlich nicht, denn er ist völlig unsicher und holt sich ständig Rat bei Wallraff und dem IM. Eine selbständige Entscheidung hinsichtlich der weiteren Arbeitsbasis traut er sich nicht zu fällen."

Die Staatssicherheit verfolgte damals das Interesse, Wolf Biermann in der Versenkung verschwinden zu lassen oder zumindest auf ein neues Thema umzulenken: den Klassenkampf in der Bundesrepublik. Biermann, dessen Ausbürgerung im Osten eine ungeahnte Protestwelle nach sich zog, sollte politisch möglichst rasch neutralisiert werden.

Genau in diesem Sinne betätigten sich damals Günter Wallraff und der Stasi-Informant Diether Dehm. Während seines Aufenthaltes in Wallraffs Wohnung wurde Biermann diesbezüglich unter erheblichen Druck gesetzt.

Aus den Stasi-Akten geht hervor, dass Biermanns damalige „Freunde" sich intensiv darum bemühten, ihn von öffentlichen Äußerungen über die DDR abzuhalten. Anlass war zum Beispiel eine Veranstaltung im März 1977, bei der es zu heftigen Diskussionen mit Vertretern kommunistischer Splittergruppen gekommen war. Nach dieser Erfahrung habe Biermann erklärt, dass er sich in Zukunft „auf die Ratschläge seiner Freunde (Wallraff) verlassen und nicht mehr selbständig bei derartigen Veranstaltungen in Erscheinung treten" wolle. Für die nächste Veranstaltung sei festgelegt worden, dass Biermann keine Fragen aus dem Publikum mehr beantworte - seine spontanen Antworten lagen nicht auf der richtigen politischen Linie.

Im April 1977 berichtete Dehms Ehefrau, die ebenfalls für die Stasi tätig war, erneut von „ernsthaften Auseinandersetzungen" zwischen Biermann und seiner Umgebung. Auslöser war seine Teilnahme an einer Solidaritätsveranstaltung für die Charta 77. „Versuche, Biermann von dieser Verbindung fernzuhalten, bzw. eine Beteiligung an der Veranstaltung zu verhindern, verliefen negativ, da Biermann entgegen erst gegebenen Zusagen – dass er nicht an dieser Veranstaltung teilnimmt – dann doch dorthin fuhr", heißt es in ihrem Bericht nach Ost-Berlin. Wallraff und Dehm stellten den Liedermacher anschließend zur Rede, weil sie ihn laut Stasi-Akten „von derartigen Personenkreisen und einer Ausnutzung durch diese fernhalten wollten".

Den vermeintlichen Biermann-Freunden war freilich nur ein begrenzter Erfolg beschieden. Der selbstbewusste Liedermacher befreite sich immer mehr aus dem Kölner Einflussgeflecht. Am Ende stand ein massiver Streit, von dem die Stasi durch einen Bericht vom November 1977 erfuhr: Danach hatte Biermann Wallraffs damalige Freundin als Agentin der DKP bezeichnet, die zielgerichtet auf ihn angesetzt worden sei. Biermann ging bald einen ganz anderen Weg, als die Stasi ihm zugedacht hatte.

Der Autor ist Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false