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Meinung: Der Fluch des Bumerangs

Angela Merkel tut nun so, als käme die große Steuerreform doch 2005

Von Robert Birnbaum

War einmal ein Bumerang – warum bloß fällt uns, wenn wir über CDU, CSU und Steuerreform nachdenken, die kleine Moritat vom Wurfholz aus der Feder des Scherzbolds Joachim Ringelnatz ein? Diese Geschichte vom Bumerang, der, weil „ein weniges zu lang“, zwar vor den Augen des erwartungsvollen Publikums davonschwirrte, aber nicht weit kam – und vor allem nicht zurück? Vielleicht fällt uns der Ringelnatz-Vers ein, weil wir uns allmählich ähnlich vorkommen wie jenes Publikum. Beim Leipziger CDU-Parteitag haben wir erlebt, wie die größte Oppositionspartei gewaltig Schwung geholt und Friedrich Merz’ Steuerreformkonzept losgeschleudert hat. Ein großer Wurf. Nur hat der eine Flugbahn, wie sie kein echter Bumerang je hinbekäme: Mal vor, mal zurück, mal seitwärts – und neuerdings auf dem besten Wege, der Union auf die Füße zu fallen.

Daran ist sie selber Schuld. Als Merz seine Leitsätze entwarf und der CDU-Parteitag sie verabschiedete, war eigentlich allen Beteiligten klar, dass da ein Zukunftsprojekt vorlag. Obendrein ein halb fertiges: Die ganze schwierige Frage der Unternehmensbesteuerung ist zum Beispiel noch ausgeklammert. Aber das Echo auf ein Modell, mit dem zum ersten Mal eine Volkspartei einen Ausweg aus dem Steuerdschungel zu weisen versprach, fiel ungeheuer positiv aus. Das trieb die Regierung in die Enge, sodass sie sich nur zu retten wusste, indem sie sich für Gespräche offen zeigte. Der Union aber stieg das Lob zu Kopfe. Von einem Gesetzentwurf war plötzlich die Rede, gar davon, dass das „Modell Merz“ bei wenigem gutem Willen zum 1. Januar 2005 in Kraft treten könnte. Immer höher flog der Bumerang.

Nun war allen Beteiligten aber immer klar, dass das nur eine Luftnummer war. Die Union will keine große Steuerreform, jedenfalls nicht jetzt. Inhaltlich nicht, weil Merz selbst immer darauf hingewiesen hat, dass vorher der Arbeitsmarkt dereguliert werden müsse, denn sonst verpuffe die Steuervereinfachung. Taktisch nicht, weil sich mit dem Versprechen einer populären Reform 2006 nur allzu gut wahlkämpfen lässt. Dies umso mehr, wenn man vorher die Regierung als reformunwillig vorgeführt hat.

Auch die Regierung wollte und will keine Reform nach Oppositionsmuster. Sie will aber auch nicht als Verhinderer dastehen. Also erklärte sie sich zum Schein gesprächsbereit und vertraut ansonsten fest darauf, dass Merz notfalls von den eigenen Länder-Ministerpräsidenten gestoppt würde. Wie Recht die Regierung mit dieser Einschätzung hatte, zeigt die Art und Weise, in der die CSU den Merz-Vorschlag zur unbezahlbaren Utopie und Subventionen wie die Pendlerpauschale für heilig erklärt hat. Der Gegenwind aus München hat den Flug des Bumerangs rasant abgebremst. Seither schlingert er. Und es ist nicht in Sicht, wie der Kurs stabilisiert werden soll. Denn das CSU-Konzept passt nicht zu Merz’ Modell. Da sind kaum Kompromisse möglich. Bezeichnend, dass Merz und die Bayern bisher keinerlei Anlauf unternommen haben. Dieser Streit ist nicht fachlich, sondern nur ganz brachial politisch zu entscheiden.

Halten wir noch einmal fest: Alle reden von der großen Steuerreform, aber keiner will sie zum jetzigen Zeitpunkt. Dass Angela Merkel nun öffentlich den Schluss gezogen hat, mit einer Steuerreform in diesem Jahr werde es wohl nichts mehr, war also erstens logisch, zweitens ehrlich und drittens deshalb denkbar ungeschickt. Wer dem Publikum erzählt, der Bumerang werde bei günstigem Wind den doppelten Salto schaffen, und dann mitten im Flug verkündet, vermutlich reiche aber der Wind nicht – der darf sich nicht wundern, wenn das Publikum der Verdacht beschleicht, in Wahrheit sei auch dieser Bumerang bloß „ein weniges zu lang“.

Merkel hat inzwischen erklärt, sie sei missverstanden worden. Ist sie aber nicht. Sie war nur so unklug, in einem taktischen Scheingefecht die Wahrheit zu sagen. Nun will sie lieber wieder so tun, als wäre die große Steuerreform 2005 möglich. Aber Recht behalten wird Ringelnatz: „Publikum noch stundenlang wartete auf Bumerang.“

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