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Meinung: Der öffentliche Kranke

Durfte das Verteidigungsministerium über den Gesundheitszustand Peter Strucks lügen?

Wann wird das Private eines Politikers politisch und damit frei für öffentliche Erörterung? Am Beispiel des Verteidigungsministers, der einen Schlaganfall erlitten hatte, der von seinem Ministerium zum Schwächeanfall verniedlicht worden war, stellt sich die Frage neu.

Ein Sprecher der Bundesregierung hatte Fragen nach dem Gesundheitszustand des Ministers als unanständig gescholten. Mutmaßungen über Peter Strucks Fähigkeit, sein Amt auszuüben, seien mit dem Kodex des Presserates nicht vereinbar. Der Leiter des Informations- und Pressestabes des Verteidigungsministeriums hielt es sogar für angebracht, die Öffentlichkeit in dieser Angelegenheit gezielt zu desinformieren, oder schlichter gesagt: zu belügen. Hartnäckig verteidigte Strucks Sprecher die Version Schwächeanfall gegen alle anders lautenden Gerüchte und scheute sich auch nicht, Journalisten moralisch unter Druck zu setzen.

Handelte die Regierung richtig, als sie den wahren Zustand des Ministers vertuschte? Oder hatte die Öffentlichkeit einen Anspruch auf die Wahrheit? Diese Fragen berühren das Verhältnis der Politiker zur Öffentlichkeit grundsätzlich – und lassen sich eindeutig beantworten.

Politisch wird das Private immer dann, wenn ein Politiker sein Privatleben selbst in die Öffentlichkeit trägt. Die Scheidung Gerhard Schröders von seiner Frau Hillu, verbreitet als Presseerklärung, war so ein Fall, Klaus Wowereits Worte „Ich bin schwul, und das ist auch gut so“, verkündet bei einem Parteitag, ein weiterer. Auch wird sich ein Politiker die Berichterstattung über sein Privatleben gefallen lassen müssen, wenn sein privates Verhalten in einem krassen Gegensatz zu seiner Politik steht. Ein rasender Verkehrsminister, der harte Strafen für Schnellfahrer fordert, ein kiffender Innenminister, der Cannabiskonsum streng verfolgt – sie sind ein Fall für die Öffentlichkeit.

Sogar, ob der Kanzler Kinder hat und wenn ja, wie viele und von wem, ist von öffentlichem Interesse. Es trägt dazu bei, sich ein lebensnahes Bild von demjenigen zu machen, der das Schicksal der Menschen entscheidend mitbestimmt. Anders verhält es sich mit Bildern von den Kindern des Kanzlers. Es muss reichen, zu wissen, dass es Kinder gibt. Wie sie aussehen, geht niemanden außerhalb der Familie etwas an, weil sie keine öffentliche Funktion haben. Eine Nachrichtenagentur verbreitete gestern ein Urlaubsfoto von Familie Schröder aus dem Juli, mit einem kleinen Mädchen, möglicherweise Adoptivkind Viktoria. Es war nicht von Schröder zur Veröffentlichung bestimmt – also ein privates Bild, und privat sollte es deshalb auch bleiben.

Das Private eines Politikers ist immer politisch, wenn es von Relevanz für das Amt ist. Im Fall von Peter Struck ist die Relevanz nicht zu bestreiten. Ob ein Minister, zumal der für Verteidigung, nur schwächelt oder auf absehbare Zeit außer Gefecht ist, ob er den Belastungen standhält oder womöglich unter dem Einfluss starker Medikamente fatale Fehler begeht, betrifft die Belange der Menschen ganz unmittelbar. Der Kodex des Presserates soll den Einzelnen vor einer Diskriminierung in Bezug auf seine Gesundheit schützen. Aber das trifft im Fall Struck nicht zu. Es überwiegt das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit an einer Information, die möglich ist, ohne den Betroffenen zu diskriminieren oder durch die Bekanntgabe medizinischer Details zu entwürdigen.

Die Nonchalance, mit der Politiker und manche Journalisten erklären, sie wüssten ja Bescheid, wem es wie geht und wer statt eines erkrankten Ministers heimlich regiert, das müsse reichen, wirkt elitär, arrogant, ja undemokratisch. Die gezielte Irreführung im Fall Struck diente weniger dem Schutz des Betroffenen als vielmehr der Verteidigung Schröders vor Kabinettsumbildungsgerüchten. Wer soll da wem noch trauen?

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